Erziehung

Zaubern statt zanken: Das Mary-Poppins-Prinzip

Mit Fantasie und Feenstaub klappt Erziehung oftmals besser als mit dem mahnenden Zeigefinger. Schauspielerin Sabine Bohlmann ist sicher: Das ist deutlich weniger anstrengend!

„Kinderzimmer aufräumen!“, ruft Mary Poppins. Aber Jane und Michael wollen einfach nicht. Da schnippst das Kindermädchen mit den Fingern, und der Wäschestapel faltet sich fein säuberlich zusammen. Ein weiterer Schnipps, und die Betten sind gemacht. Michael ist verdutzt. Janes Kulleraugen drohen vor Aufregung aus dem Kopf zu springen. Wie macht Mary Poppins das bloß? Ob es mit dem Puppenhaus auch funktioniert? Die Kinder beginnen zu schnipsen …
Wir alle kennen diese Szene – und wir wissen auch, wie sie endet: Mit der Frage „Dürfen wir das Kinderzimmer noch einmal aufräumen?“

Für Sabine Bohlmann ist das die vielleicht eindrucksvollste Botschaft des Filmklassikers „Mary Poppins“: Wem es gelingt, dass Kinder freiwillig ihr Zimmer aufräumen (und dabei sogar Spaß haben!), der kann kaum noch etwas falsch machen – sei es als Kindermädchen oder als Eltern. „Irgendwann kam mir die Frage: Welche Mutter möchte ich eigentlich sein? Eine, die ununterbrochen schimpft, auf Regeln pocht und am Ende des Tages nur mehr dafür da ist, den Kindern die Nase zu putzen? So wollte ich nie werden“, erinnert sich Bohlmann, „Lieber mit den Kindern hüpfen und sausen und mich ganz auf sie einlassen. Kinder hüpfen die ganze Zeit, Erwachsene hüpfen nie. Warum eigentlich?“

Ein fliegender Teppich ins Badezimmer

Bohlmann, selber Schauspielerin und Synchronsprecherin, wagte sich an eine Bestandsaufnahme ihres Erziehungsstils: Was ich schlecht kann, dachte sie, ist schimpfen. Da wird meine Stimme so unangenehm, dass ich mir selber fremd werde. Und was bringt’s? Danach liegen die Kinder bloß weinend im Bett, und ich sitze unglücklich am Sofa. Das kann’s ja wohl nicht sein.

Was sie jedoch gut konnte? Sich Dinge ausdenken! Und so kam es, dass eines Abends ein fliegender Teppich vor dem Zimmer der Bohlmann-Kinder landete. „Alles einsteigen! Anschnallen! Türen schließen!“, rief der orientalische Teppichhändler. Und weil er ganz genauso aussah wie die Mama, kletterten die Kinder vertrauensvoll auf das Fluggerät. Unter Kichern und Staunen zog Mama den Teppich ins Bad. Hier wurde einen Zwischenstopp eingelegt, sodass die Passagiere Zähneputzen konnten, danach ging der Flug weiter in Richtung Bett. „Natürlich hätte ich auch ein zehntes und ein zwanzigstes Mal rufen können: ‚Kinder, fertig machen! Zähne putzen!‘, aber meine Kinder waren nun einmal jeden Abend in das allerschönste Spiel vertieft. Da war ich Luft. Ich wurde nur immer frustrierter und verzweifelter, die Stimmung wurde immer schlechter. Und ich wollte nicht schon wieder drohen ,Ich zähle bis drei, und wenn ihr dann nicht im Bad seid, gibt es keine Gute-Nacht-Geschichte!‘ Da hab ich das mit dem fliegenden Teppich einfach ausprobiert.“

Schimpfen ist anstrengender als Glücklichsein

Es war der erste Zaubertrick für eine ständig wachsende Trickkiste. Bei Familie Bohlmann gab es im Lauf der Jahre Pullis, aus denen man sich rasch einmal ein frisches Gesicht holen konnte, wenn das eigene schon beim Frühstück schlecht gelaunt war. Es gab Latein-Vokabeln, die zu neuen Pokémon wurden, es gab Zauberlimo, Wunschtage und Gefühlschaoskisten für Notfälle. Kurz: Es gab immer Kreativität und Humor. „Die Leute sagen oft, boah, aber das ist ja so anstrengend, sich immer etwas einfallen zu lassen!“, grinst Bohlmann. „Für mich war das aber nie anstrengend.“ Oder anders gesagt: Schimpfen wäre viel anstrengender gewesen! Diese verbissene Energie, diese Atmosphäre, in der sich keiner mehr wohlfühlt in seiner Haut …

„Nach dem fliegenden Teppich war die Atmosphäre mit einem mal so schön! Da hab ich mir gedacht: Aha, so probier ich’s jetzt weiter!“ Das heißt nicht, dass nie geschimpft wurde. Oder dass es keine Grenzen gab. Aber die Künstlerin ist überzeugt, dass in vielen Familien die „persönliche Ärgergrenze viel zu tief ansetzt“, dass mit Kindern oft aus einem Reflex heraus geschimpft wird, auch in Situationen, in denen das absolut nicht gerechtfertigt ist: „Wenn ein Kind aus Versehen ein Glas umstößt, dann kann man zu dem Kind nicht sagen: ‚Pass doch besser auf!‘ Weil uns passiert das schließlich auch mal.“ Oder wenn Kinder nun mal nicht wissen, wie lange fünf Minuten sind. Erwachsene wüssten das oft ebenso nicht.

Erziehung ohne Patentrezept

Bohlmanns Kinder sind inzwischen selber Erwachsene. Sie sind schlagfertige, lustige Menschen geworden, die das Leben mit viel Humor meistern – darauf ist die Mama stolz. Die vielen Spiele und Ideen, die sie auf diesem Weg begleitet haben, hat Bohlmann in mehreren Büchern verewigt. Patentrezept für eine gelungene Erziehung sei da aber keines dabei, betont sie. „So etwas gibt es gar nicht. Erziehung war bei uns ein einziges Ausprobieren. Was gestern funktioniert hat, funktioniert heute schon nicht mehr, aber vielleicht morgen wieder? Oder auch nicht. Das macht’s ja auch spannend: dass kein Tag so ist wie der andere, weil jedes Kind jeden Tag eine andere Laune hat und andere Bedürfnisse – und ich selber letztlich auch! Ich mach ja den fliegenden Teppich vielleicht auch drei Mal total lustig, und das vierte Mal merken die Kinder mir an, dass ich müde bin, und dann macht’s keinen Spaß.“

Und ohne Spaß funktioniert das Mary-Poppins-Prinzip nunmal nicht: Nur „was man voller Freude tut, schmeckt uns wie Kuchen gut“, singt die Zauber-Nanny im Film, „So schafft ein Spiel, dazu gehört nicht viel!“ Wer sich das nächste Mal selber dabei ertappt, drohend den Zeigefinger zu erheben, könnte das ja einfach ausprobieren …

“Es gibt allerdings auch hartnäckige Anfälle von übler Laune, bei denen man sich noch ein paar andere Tricks einfallen lassen muss. Unser Sohn Jakob hatte einmal eine Schlechte-Laune-Phase. Wir sind eigentlich eine sehr fröhliche Familie. Aber in dieser Zeit kam Jakob oft schon morgens mit einem unfreundlichen Gesicht an den Tisch. Bei witzigen Bemerkungen seines Papas, wie ,Oh, da kommt ja wieder unser Schmuddelgesicht‘ wurde Jakobs Gesicht nurnoch griesgrämiger. Bis ich ihn eines Morgens fragte, ob er sich aus seinem Pulli ein freundlicheres Gesicht rausholen könnte. Ich zog ihm den Pulli ein wenig über sein Gesicht. Da musste er schon lachen, versuchte aber, immer noch grimmig zu schauen. ,Oh nein, das ist immer noch nicht das, das ich meine. Ich erinnere mich da an so ein fröhliches Jakobgesicht.‘ Nun verschwand Jakob immer wieder in seinem Pulli und kam mit den verschiedensten Gesichtern wieder heraus. Bis ich bei einem sagte: ,Ja, genau das Gesicht habe ich gemeint!‘ Bei uns zu Hause führte es dazu, dass Töchterchen Paulina ebenfalls ein missmutiges Gesicht machte, nur um auch mal im Pulli verschwinden zu dürfen. Normalerweise hat sie das wirklich nicht nötig, denn sie ist meistens fröhlich. Allerdings bitte ich sie ab und zu, sich eine neue Stimme aus dem Pulli zu holen, denn manchmal nölt sie ein bisschen rum.“

Sabine Bohlmann

Zitatzeichen

Sabine Bohlmanns Buch „Ein Löffelchen voll Zucker: Das Mary- Poppins-Prinzip“ ist 2004 bei Egmont VGS erschienen und wurde 2018 bei GU neu aufgelegt.

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