Bildung

Sommerstrebern oder Ferienfaulenzen

60 Prozent der Schüler büffeln in den Ferien. Sollten da nicht Erholung und Spaß oberste Priorität genießen? „Ja“, sagen Experten. Jedoch schließt das eine nicht das andere aus. Beim Lernen in den Ferien kommt es auf das Wie an.

lernen in den ferien

Selbst wenn bei den ein oder anderen Eltern das Schulbankdrücken vielleicht schon ein Viertel- oder gar halbes Jahrhundert zurückliegen mag, so können sich die meisten noch lebendigst an jenen Moment erinnern, in dem das letzte Mal dieses durchdringende, kreischende „Drrrr…“ der Pausenklingel dröhnte. Das Einläuten der Ferienzeit. An diesem allerletzten Schultag ertönt die Schulglocke stets liebevoller und freundlicher als an den restlichen Tagen des Jahres. Ihr Klang löst einen Pawlow’schen Reflex bei Schülern aus: Der konditionierte Drang nach Freiheit wird geweckt, und bereits wenige Sekunden nach Verlassen der Schulmauern gestillt. Dann ist sie nämlich da, diese einzigartige, unbeschreibliche Emotion. Der Duft nach süßer Freiheit, zusammengesetzt aus Aromastoffen von Vanilleeis, Sonnenlotion und Freibad-Chlor. Ein Wohlgeruch, der einem die Endorphine in den Kopf schießen lässt und die Gewissheit gibt, nichts sei unmöglich. Neun Wochen Ferien. Neun Wochen Spaß. Neun Wochen Kind sein. Oder? Nicht für alle. Der Großteil der österreichischen Schüler büffelt auch in den Sommerferien.

Meiner Ansicht nach sollten Ferien aber primär frei von Schule sein. Das ist meine Grundsatzeinstellung. Unsere jungen Leute müssen das ganze Jahr hindurch einiges leisten, es wird sehr viel an sie herangetragen. Umso wichtiger ist es, dass sie eine ausgiebige Erholungsphase genießen, zur Ruhe kommen, durchatmen und wieder zu sich selbst finden.

Fritz Nachbargauer, Studiengangleiter des Lehrgangs „Freizeitpädagogik“ an der Pädagogischen Hochschule Krems.

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Der ehemalige Lehrer, selbst Vater mittlerweile erwachsener Kinder, spricht aus jahrzehntelanger Erfahrung. Seiner Meinung nach sei es viel wichtiger, dass Kindern und Jugendlichen in den Ferien die Möglichkeit geboten wird, fürs Leben zu lernen. Dabei handelt es sich keinesfalls um einen abgedroschenen Spruch der quasi älteren Generation, sondern diese Weisheit hat durchwegs Hand und Fuß.

In der Schule wird sehr punktuell gelernt. Oftmals stopfen sich die Schüler in kürzester Zeit eine riesige Stoffmenge in ihre Köpfe und habendiese nach dem Test oder der Schularbeit bereits wieder vergessen. Lernen beinhaltet jedoch wesentlich mehr, als sich Daten und Fakten einzuhämmern. Da geht es um soziale Kompetenzen, darum, Erfahrungen eigenständig und hautnah zu sammeln. Das kann ein Spaziergang durch den Wald sein, bei dem man aufmerksam hinsieht, welche Tiere und Pflanzen einem begegnen, ein Ausflug ins Technische Museum oder eine Besichtigung antiker Gebäude im Urlaub. Man lernt viel nachhaltiger, wenn man das in der Schule Vermittelte selbst erlebt und spürt.

Fritz Nachbargauer

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Lernerlebnisse gibt es überall

Kurz gesagt heißt es eben noch lange nicht, dass, wenn Kinder in den Ferien bis Mittag schlafen und sich nachmittags mit ihren Freunden vergnügen, sie rein gar nichts lernen. Ganz im Gegenteil! Denn beim Toben über Wiesen und Felder fragen sie womöglich „Was ist das denn für ein Schmetterling“? Im Freibad müssen sie mit ihrem Taschengeld haushalten und ausrechnen, wie viel Eis am Stiel und Pommestüten sich damit ausgehen könnten. Und beim Fußballwettbewerb erfahren sie, was es bedeutet, auf ein Ziel hin zu trainieren, Disziplin zu üben, Teamgeist zu entwickeln und letztlich vielleicht auch, wie es ist, eben nicht zu gewinnen. „Ich habe aber nicht prinzipiell etwas dagegen, wenn in den Ferien mal Englischvokabeln oder Matheformeln wiederholt werden. Ich finde, das muss man situationsbedingt bewerten. Erstens kommt es auf das Alter an, auf die schulischen Leistungen und ob sich das Kind lernbereit zeigt. Es gibt sogar Burschen und Mädchen, die wirklich Spaß daran haben, den Schulstoff zu wiederholen. Darauf muss man als Elternteil natürlich positiv reagieren“, erklärt Pädagoge Fritz Nachbargauer.

Als absolutes No-Go und zu 100 Prozent unpassend findet er jedoch, wenn Eltern vor dem Schuleintritt, nach dem letzten Kindergartenjahr ihren Schützlingen bereits das Rechnen, Lesen und Schreiben beibringen. Zwar soll man seiner Ansicht nach durchaus die Wissbegierde seines Kindes stillen, sollte dieses aus freien Stücken und aufgrund von Neugier bereits Buchstaben und Zahlen lernen wollen. Falsch ist jedoch übermütiger Ehrgeiz der Eltern, der darauf abzielt, dass der eigene Knirps „der Beste“ ist.

Volksschüler sollen es lockerer angehen

Auch innerhalb der ersten vier Schulstufen sei es laut Nachbargauer nicht unbedingt notwendig, in den Ferien die Schulhefte aufzuschlagen. Der Lehrplan der Volksschule ist nämlich so konzipiert, dass in den ersten Wochen nach den Ferien der Stoff des Vorjahres wiederholt wird. Es spricht jedoch nichts dagegen, das bereits Gelernte spielerisch zu trainieren. Um die Lese- und Schreibfähigkeiten zu festigen, kann man unterwegs gemeinsam Schilder lesen, die Kinder könnten im Restaurant den Inhalt der Speisekarte zum Besten geben, oder man denkt sich lustige Geschichten aus und erzählt sie sich gegenseitig. Man kann den Kids auch Rätselhefte und spannende Bücher für regnerische Tage schenken, die sie sich selbst aussuchen dürfen. Der Spaßfaktor steht hierbei an erster Stelle. Je älter die Kinder werden und umso höher die Schulstufe wird, desto eher werden sie häufig von ihren Eltern gedrängt, ernst zu nehmend Stoff durchzuarbeiten und umfassende Lernpläne zu erfüllen. „Zwang und Druck sind nicht in Ordnung. Ich kann mich selbst noch an meine Schulzeit erinnern. Nur weil man im Sommer stundenlang lernt, heißt das noch lange nicht, dass man deshalb ein besserer Schüler ist“, sagt Nachbargauer. Er hält es vor allen Dingen für hinterfragenswert, wenn Eltern ihre Kinder über den Sommer regelrecht drillen, damit diese gut genug für eine höher bildende Schule sind. „Wenn ein Schüler trotz besten Bemühens im Gymnasium nicht oder nur sehr schwer bestehen kann, dann sollte man sich überlegen, ob es sich hier um die richtige Schulform handelt“, ergänzt Nachbargauer.

Sobald Fremdsprachen und komplizierte Mathematikinhalte zum Thema werden, hält es Pädagoge Nachbargauer für sinnvoll, im Sommer immer wieder mal Vokabeln oder Formeln zu wiederholen. „Die Übungen können zwischendurch stattfinden und müssen nicht nach strengen Regeln erfolgen. Wichtig dabei ist, dass Eltern ihre Kinder immer wieder ermutigen, sie loben und dass zu Beginn ein schneller Lernerfolg da ist“, so Nachbargauer. Überdies sollten Eltern dem Kind eine ständige Wertschätzung für einen Fleiß entgegenbringen, selbst wenn nicht die erwünschten Noten erzielt werden konnten. Nachbargauer:„Ganz wichtig ist, dass man Kinder vor allem im ersten Ferienmonat vollkommen mit dem Lernthema in Ruhe lässt. Das haben sie sich nach der langen Schulzeit redlich verdient!“

… und dann beginnt der Ernst des Lebens, oder? Wer kann sich nicht an diesen fast mystischen Satz kurz vor dem Eintritt in die Schule erinnern: kein kleines Kindergartenkind mehr sein, sondern ein großes Schulkind. An keiner Familie geht dieser Wandel spurlos vorbei. Hat sich das Lernen der Kinder bisher meistens nebenbei ergeben, weil sie sich aus Neugierde mit etwas beschäftigt haben, ist dann vorgegeben, was sie lernen und vor allem wie sie lernen. Auch wenn das „S“ viel spannender aussieht als das „A“ wird zuerst letzteres geschrieben und gelesen. Sollte Lesen, Schreiben und Rechnen beim Kind auf weniger Begeisterung stoßen als Spiele, stehen die Eltern vor einer ziemlichen Herausforderung. Leicht entsteht das Gefühl, nicht nur der Sprössling bekommt Noten, sondern auch Mama und Papa. Die Kunst ist nun, locker zu bleiben und nicht das Vertrauen in die Fähigkeiten seines eigenen Kindes zu verlieren. Schließlich hat der Nachwuchs bis zum Eintritt in die Schule schon viele Herausforderungen gemeistert, und das ganz selbstverständlich. Er hat gelernt, zu laufen und zu springen, zu reden und zu singen, hat seine Umwelt erkundet und in der Fantasie schon die Erde umrundet. Aber alle diese großen und kleinen Meisterleistungen haben Zeit gebraucht, und die braucht das schulische Lernen nun eben auch!

Mag.Daniela Krammer

Klinische und Gesundheitspsychologin Eingetragene Mediatorin

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