Erziehung

„Mein Kind findet keine Freunde“

Manche Kinder tun sich sehr schwer, Kontakte mit anderen zu schließen. Woran liegt das, und wie kann solchen Kindern geholfen werden?

Karin ist elf und war noch nie auf einem Kinderfest eingeladen. Einmal wollten ihre Eltern für sie eine Geburtstagsparty geben, aber niemand hat zugesagt. Karin hat sich einen ganzen Nachmittag in ihrem Zimmer verkrochen und nur geweint. David ist 13 und hatte noch nie einen Freund. Wenn andere Kinder etwas unternehmen, sitzt er daheim beim Computer. Er lebt mit seinem Vater, der beruflich viel unterwegs ist. Bisher hat sich die Oma um ihn gekümmert, aber die ist jetzt gestorben. Nun fühlt sich David völlig verlassen.

Was können Gründe dafür sein, dass manche Kinder einfach keinen Anschluss finden?

In manchen Familien wird den Kindern vermittelt: „Die Welt ist böse, andere sind Feinde, die wollen dich nur ausnutzen.“ Die Eltern haben aufgrund ihrer Überzeugung auch keine Außenkontakte, und so lernt das Kind nichts darüber, wie man mit Menschen umgeht. Außerdem übernimmt es diese Glaubenssätze und misstraut daher jedem. Die entsprechende Ausstrahlung sorgt dann dafür, dass andere den Kontakt meiden. Vielleicht wurde das Kind in seiner Familie auch seelisch, körperlich oder sexuell misshandelt. Solche Erfahrungen prägen außerordentlich und sind nur zu oft dafür verantwortlich, dass sich Selbstbewusstsein gar nicht entwickelt oder zerstört wird. Damit hat das Kind kein „Werkzeug“, um Freundschaften zu pflegen.
Andere spüren das und halten Abstand.

Schwierige Familienverhältnisse wie zum Beispiel Trennungen, Todesfälle oder Scheidungen können auch dafür verantwortlich sein, dass das Kind sich zurückzieht. Es kann auch sein, dass das Mädchen oder der Bub aus einem Milieu kommt, das die anderen Eltern ablehnen und daher einen Kontakt mit ihren Kindern unterbinden. Das kann die Herkunft betreffen, den sozialen Status, weil „die Mutter eine Schlampe ist und die Familie verlassen hat“, die „Schwester herumhurt“, die Eltern arbeitslos sind oder der Vater Alkoholiker ist. Aber auch äußere Faktoren wie unmodische Kleidung, eine altmodische Brille, Übergewicht, eine lieblose Frisur oder Ungepflegtheit können Gründe sein, warum ein Kind gemieden wird. Schließlich sollten Eltern herausfinden, ob eventuell eine psychische Erkrankung hinter der Isoliertheit ihres Kindes steckt.

In sehr seltenen Fällen gibt es auch Mädchen und Buben, die sich im Alleine Sein wirklich wohlfühlen und Freundschaften daher nicht vermissen. Aber dann leiden sie nicht, und eventuell ändert sich das später von selbst. Und wenn nicht, ist es auch in Ordnung.

Was können Eltern tun, um ihrem Kind zu helfen?

Wenn Erkrankungen ausgeschlossen wurden, sollten Eltern alles tun, um das Selbstbewusstsein ihres Kindes zu stärken. Das bedeutet, ihm zu jedem Zeitpunkt Liebe, Akzeptanz und Unterstützung zu geben. Daran sollten auch Streitigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten nichts ändern. Und am wichtigsten ist es, dass ihm Eltern und Bezugspersonen soziale Kompetenz vermitteln und vorleben.

Was ist soziale Kompetenz?

Einfach gesagt: Sozial kompetent ist jemand, der gut mit anderen umgehen kann. Das bedeutet, Menschen für sich einnehmen zu können, klar zu kommunizieren, Konflikte zu lösen, kritikfähig zu sein und offen und frei auf andere zuzugehen. Nicht jedes Kind ist von Beginn an in der Lage, seine Gefühle zu zeigen oder mit anderen Kindern gut zurechtzukommen.

Indem Kinder jedoch ihr Selbstvertrauen stärken, können sie ihre sozialen Fähigkeiten erweitern. Besonders zurückhaltenden Kindern fällt es dadurch leichter, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ab dem Alter von etwa zwei Jahren sind Kinder in der Lage, nicht nur ihre eigenen Gefühle zu deuten, sondern auch in den Gesichtern anderer zu erkennen, ob derjenige traurig, glücklich, enttäuscht oder wütend ist. Sozial kompetent reagiert ein Kind dann, wenn es einen Gefühlszustand nicht nur erkennt, sondern auch darauf reagieren kann, also zum Beispiel ein trauriges Kind tröstet.

Sie helfen Ihrem Kind, wenn Sie es ermutigen, sowohl positive als auch negative Gefühle auszudrücken. Am besten gelingt das, wenn Sie fragen, wie es ihm gerade geht, und sich den Zustand genau beschreiben lassen. Das gilt besonders dann, wenn es sichtlich gedrückt, zornig oder glücklich ist. So lernen Kinder, Gefühle zu benennen, und das ist ein wichtiger Schlüssel zur sozialen Entwicklung. Je genauer Ihr Kind Ihnen zum Beispiel erklären kann, welche Gefühle es belasten, desto besser sind die emotionalen Fähigkeiten bereits ausgeprägt. Indem Sie aktiv auf die Gefühle Ihres Kindes eingehen, vermitteln Sie ihm Sicherheit. Diese Sicherheit ermöglicht es ihm, auch anderen Menschen gegenüber selbstbewusst aufzutreten.

Achten Sie auch darauf, Ihre eigenen Gefühle möglichst deutlich auszudrücken. Wenn Sie selbst sehr verschlossen sind und kaum Gefühle zeigen, wird es Ihrem Kind automatisch schwerfallen, Emotionen in den Gesichtern fremder Menschen zu entdecken. Schauen Sie es daher beim Reden immer an, damit es Ihre Mimik erkennen kann.

Was sollten Eltern auf keinen Fall tun?

Kritisieren Sie Ihr Kind niemals dafür, dass es nicht in der Lage ist, Freunde zu finden. Machen Sie sich auch nicht darüber lustig. Natürlich sollten Sie trösten. Es ist aber wenig sinnvoll, extremes Mitleid zu zeigen, selbst wenn Ihnen das Herz bricht. Bleiben Sie positiv und versuchen Sie, gemeinsam mit dem Kind herauszufinden, was der Grund für die Ablehnung sein könnte, die es erfährt. Vielleicht braucht alles ein wenig Zeit. Aber eines Tages wird Ihr Kind die Freunde finden, die ihm aufrichtig zugetan sind.

„Die Kinder ignorieren meine Leni!“ (Brigitte S., 34, Tochter Leni, 8, Linz)

„Leni war als Baby sehr ruhig. Nie weinte sie, wenn jemand anderer sie auf den Arm nahm, und in der Nacht schlief sie meist durch. Da mein Mann und ich berufstätig waren, gaben wir sie bald in den Kindergarten. Mir fiel auf, dass sie sich dort offenbar nicht wohl fühlte, aber was hätten wir machen sollen? Die Kindergärtnerin erzählte mir, dass sie sehr still war, und mit anderen Kindern keinen Kontakt hatte. Wenn ich mit ihr in den Park ging und die anderen miteinander spielten, saß sie immer abseits. Sie ließ sich auch alles wegnehmen. Nur als ihr ein Mädchen ihre geliebte Puppe Anni aus den Armen reißen wollte, begann sie, laut zu schreien. Ganz schlimm wurde es in der Schule. Die Kinder in ihrer Klasse ignorierten sie völlig. Niemand wollte mit ihr spielen, nie wurde sie irgendwohin eingeladen. Sie hatte keine Freundinnen und keine Freunde. Mein Mann und ich ließen uns in dieser Zeit scheiden, weil er mich immer wieder betrogen hatte. Natürlich gingen dem viele Streitigkeiten voraus, unter denen Leni auch litt. Ich habe keine Ahnung, warum mein Mädchen diese Probleme hat. Aber die Lehrerin meint, ich solle einmal mit ihr zu einer psychologischen Behandlung gehen.“

„Leni, du bist schiach!“ (Leni, 8, Linz)

„Ich bin sehr traurig, weil die anderen Kinder nicht mit mir spielen wollen. Aber die reden auch nicht mit mir, außer „Leni, du bist dumm“ oder „Leni, du bist schiach.“ Sonst lassen sie mich zwar in Ruhe, aber sie beachten mich auch nicht. Jedes Kind hat eine Freundin oder einen Freund, nur ich nicht. Die Mama hat mich gefragt, warum ich nie jemanden einlade. Aber das hat überhaupt keinen Sinn. Es kommt eh niemand. Das war schon im Kindergarten so. In der Pause bin ich immer allein und schau den anderen zu. Neulich waren wir auf Wandertag. Alle sind in Gruppen gegangen, nur mit mir wollte wieder keiner gehen. Dann hat die Frau Lehrerin halt mit mir geredet. Im Turnen haben wir ein Spiel gespielt, da musste sich ein Kind immer ein zweites auswählen. Zum Schluss bin ich übriggeblieben. Da habe ich so weinen müssen. Ich weiß nicht, warum mich niemand mag. Ich bin dicker als die anderen Mädchen, die alle sehr dünn sind. Aber die Mama hat gesagt, dass ich abnehme, wenn ich wachse, und dass es auf ein gutes Herz ankommt. Ich glaube schon, dass ich ein gutes Herz habe. Aber jetzt warte ich halt darauf, dass ich wachse.“

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