Gesundheit

Mami, mein Bauch drückt so!

Bauchschmerzen sind das am häufigsten vorkommende Kinderleiden.

Bauchweh gehört zu den häufigsten Leiden bei Kindern, und doch sind die Ursachen dafür oft schwer zu finden. Das wichtigste Diagnosetool für den Arzt ist daher Zeit – und das Gespräch mit dem kleinen Patienten.

Enya Keminger sitzt mit ihrem ausgefüllten Bauchschmerz-Protokoll bei Dr. Andreas Vécsei in der Ordination. Detailliert bespricht die Neunjährige mit ihm durch, wann sie zuletzt Bauchschmerzen hatte, ob ihr zusätzlich übel war und ob sie wegen der Beschwerden nicht zur Schule oder zum Sport konnte. Seit ein paar Wochen führt die Klosterneuburgerin nun diese Listen – ganz selbstständig, auch in der Schule.

Bauchweh hat die Schülerin schon seit einer Weile. „Ungefähr dreimal in der Woche – und oft tut es richtig weh“, erzählt das Mädchen, das eigentlich eine taffe Leistungssportlerin ist. Nach zwei Vorfällen mit besonders starken Schmerzen hat ihre Mutter beschlossen,  diese abklären zu lassen. „Leider war das gar nicht einfach“, erzählt Beatrice Keminger. „In einer Ambulanz hat man fälschlicherweise auf Blindarmentzündung getippt, ein anderer Arzt hat bei seiner Untersuchung nichts gefunden und Enya dann das Gefühl gegeben, dass er ihr nicht glaubt. Das war furchtbar für sie. Wenn man seine Krankheit nicht benennen kann, fühlt man sich auch hilflos.“

Schwierige Diagnosefindung

 

 

Tatsache ist, dass die Ursachensuche bei Bauchschmerzen oft ein langer Weg ist, obwohl diese ein häufiges Symptom im Kindes- und Jugendalter sind und bei der Altersgruppe der Drei- bis Zehnjährigen sogar an erster Stelle stehen. Denn es gibt nicht nur eine Art von Bauchweh, sondern sehr viele: solche, die nur akut auftreten, andere, die sogar über Monate hinweg anhalten, oder solche, die eigentlich auf eine Erkrankung in einem ganz anderen Körperteil hinweisen. Dazu kommt, dass man nicht bei allen Bauchschmerzen mittels Tastuntersuchung oder Blut- und Stuhlbefund eine klare Diagnose stellen kann. Und so ist – neben medizinischen Kenntnissen – Zeit das Wichtigste, was ein Kinderarzt bei Bauchschmerzen mitbringen muss. Und dass er seine jungen Patienten und ihr Leiden ernst nimmt.

Akut ist es meist ein Virus

„Prinzipiell muss man zwischen akuten, also plötzlich auftretenden Bauchschmerzen und immer wiederkehrenden oder  kontinuierlichen Bauchschmerzen unterscheiden“, weiß Kindergastroenterologe Andreas Vécsei. „Akute Beschwerden haben meist eine organische Ursache, am häufigsten akute Verstopfung oder einen Virusinfekt.“ Manchmal können diese Bauchschmerzen aber auch ein Alarmsignal für eine ernsthaften Erkrankung sein, zum Beispiel eine Blinddarmentzündung, einen Harnwegsinfekt oder eine Nierenbeckenentzündung. Außerdem können sie auch eine Begleiterscheinung von Grippe oder Lungenentzündung sein. Treten die Bauchschmerzen also in Kombination mit Fieber, Erbrechen, starkem Durchfall oder Beschwerden beim Wasserlassen auf, sollte man einen Arzt aufsuchen. Besondere Angst macht Eltern meist eine mögliche Blinddarmentzündung. Für diese gibt es allerdings ziemlich klare Symptome: „Sie beginnt typischerweise in der Früh mit Bauchschmerzen oberhalb des Nabels“, beschreibt der Kinderarzt die Anzeichen. „Betroffene Kinder kommen nach einigen Stunden gekrümmt von der Schule nach Hause, der Schmerz ist von der  Magengegend in den rechten Unterbauch gewandert.“ Dieser Wanderschmerz ist besonders signifikant, auch ein Loslassschmerz deutet darauf hin. Vécsei: „Drückt man die Bauchdecke ein und lässt dann plötzlich los, erschrecken die Kinder und sagen, dass das Loslassen noch schmerzhafter war als das Hineindrücken.“

Empfindliche Nerven im Darm

Außer solchen plötzlichen Bauchschmerzen gibt es jene, die immer wiederkehren. „Dauern sie bereits länger als zwei Monate an und treten sie an mindestens vier Tagen pro Monat auf, spricht man von chronischen Bauchschmerzen“, weiß der Experte. Die bei Weitem häufigste Ursache sind funktionelle Störungen, die bei rund 80 bis 90 Prozent der Patienten mit chronischen Bauchschmerzen diagnostiziert werden. Dazu gehören das Reizdarmsyndrom, das Reizmagensyndrom, die abdominelle Migräne und nicht anderweitig spezifizierte Bauchschmerzen. „Diese funktionellen Bauchschmerzen entstehen, weil gesunde sensorische und motorische Nerven des Magen-Darm-Trakts überaktiviert werden“, so Vécsei.

Die Nerven im Darm der Betroffenen reagieren also empfindlicher als üblich, es gibt eine niedrigere Schmerzschwelle, sodass schon normale Ereignisse, die während der Verdauung passieren, zu Schmerzen führen. Ist doch der Magen-Darm-Trakt ein ähnlich großes Nervensystem wie das Zentralnervensystem und steht mit diesem im ständigen Dialog. Vécsei: „Die Bauchschmerzen resultieren daraus, dass das Magen-Darm-System Schmerzsignale zum Gehirn schickt.“ Bei dieser größten Gruppe an Bauchweherkrankungen gibt es drei deutliche Altersgipfel – zwischen vier und sechs Jahren, zwischen neun und elf Jahren sowie in der Pubertät. „Das hängt mit der Umstellung zusammen, die in diesem Alter jeweils passiert“, so der Magen-Darm-Spezialist. Also mit Eintritt in die Schule, Wechsel auf die weiterführende Schule und der Pubertät als allgemeine Phase großer Veränderungen. In diesen Zeiten beeinflussen Stressoren den ständigen Dialog zwischen den großen Nervensystemen extrem, und da auch die motorischen Nerven irritiert reagieren, sind  Mobilitätsstörungen, die sich entweder durch Durchfälle, Blähungen oder Verstopfungen äußern, die Folge.

Kein Befund, trotzdem Schmerzen

Das große Problem der funktionellen Bauchschmerzen: Trotz der Schmerzen, die keineswegs eingebildet, sondern sehr real sind, lassen sich keine Veränderungen an einem Organ nachweisen. Wie stellt man dann aber eine Diagnose? Andreas Vécsei: „Man nähert sich am besten an, indem man kein dualistisches Konzept heranzieht. Also jenes, das auf dem Prinzip besteht, dass jedes Symptom eine Ursache hat und es Aufgabe des Arztes ist, diese herauszufinden und etwas dagegen zu tun. Denn so kann man allein mit Blutuntersuchungen beweisen, wenn die Testergebnisse gewisse Voraussetzungen erfüllen. Geht der Experte von funktionellen Bauchschmerzen aus, macht er seinen Patienten und deren Familien Therapievorschläge.

„Am wichtigsten ist die Aufklärung, dass auch ein gesundes Organ trotzdem schmerzen kann“, erklärt Vécsei. Dafür bemüht er sich um Analogien, die es Kindern verständlich machen. So erzählt er etwa von einer Alarmanlage, die – wenn sie gut eingestellt ist – reagiert, sobald ein Einbrecher die Tür aufbricht. Ist sie aber zu empfindlich eingestellt, geht sie auch schon los, wenn nur eine Fliege vorbei  fliegt. Und ähnlich gibt ein zu empfindliches Magen-Darm-System schon bei normalen Verdauungsprozessen Schmerzen ans Gehirn weiter.

Breitaufgestelle Behandlung

Neben dieser Aufklärung, dass ihre Schmerzen tatsächlich echt sind und dass es für sie eine Diagnose gibt, was den Patienten schon mal prinzipiell Erleichterung verschafft, gibt es noch eine Reihe anderer Therapiemöglichkeiten. Sowohl medikamentös, etwa medizinischer Ingwer gegen Übelkeit, entkrampfende Mittel bei Bauchkrämpfen oder Stuhlweichmacher bei Verstopfung, aber auch psychologische und psychotherapeutische Therapien. Gute Erfahrung machen viele Patienten mit funktionellen Bauchschmerzen auch mit Magen-Darm-Hypnose und Yoga. In puncto Ernährungsumstellung ist eine glutenfreie Ernährung bei vielen Betroffenen sehr erfolgreich – dabei verzichtet man auf bestimmte Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Gerste oder Hafer. Andere sprechen auf die sogenannte FODMAP-Diät sehr gut an, eine kohlenhydratreduzierte Ernährung bei Reizdarm und anderen Verdauungsbeschwerden, bei der Nahrungsmittel mit hohen Anteilen von u. a. Fructose, Lactose und Polyolen gemieden werden.

Im Fall von Enya konnte Dr. Andreas Vécsei eine Zöliakie ausschließen, eine Glutensensitivität allerdings nicht. Deshalb hat er gemeinsam mit ihr besprochen, für einige Wochen eine glutenfreie Ernährung auszuprobieren. „Ich esse jetzt seit zwei Wochen nichts mehr mit Gluten und habe schon jetzt keine Bauchweh mehr“, freut sich die Neunjährige. „Es ist auch gar nicht schwierig, da etwas zum Essen zu finden, sogar in meiner Schule bekomme ich ein glutenfreies Mittagessen.“ Auch ihre Mutter Beatrice ist glücklich, dass Enya jetzt schmerzfrei ist. „Besonders wichtig war mir, dass Enya ernst genommen wurde mit ihren Beschwerden, ihr Arzt sich richtig Zeit für sie genommen und gemeinsam mit ihr alles besprochen hat.“

 

Wann Sie mit dem Kind zum Arzt gehen sollten

Bei chronischen Bauchschmerzen sollte man mit seinem Kind zum Arzt, wenn folgende Symptome auftreten:

– Ungewollter Gewichtsverlust oder Gewichtsstillstand

– Nachtliche Durchfalle

– Schluckschmerzen oder -probleme

– Wiederkehrendes Erbrechen

– Fieber

– Nachtschweis

– Atemnot

– Blut im Stuhl

– Schwarzer Stuhl

– Bauchschmerzen werden innerhalb kurzer Zeit schlimmer

– Gelenksbeschwerden und -schwellungen

Wichtige Informationen für den Arzt

 

Hilfreich für den Arzt sind bestimmte Informationen, die Sie ihm liefern konnen. Dazu gehören Antworten auf die folgenden Fragen:

Wie lange bestehen die Schmerzen? Sind sie ganz akut und plötzlich aufgetreten, oder bestehen sie schon über einen längeren Zeitraum bzw. kehren immer wieder? Ist den Schmerzen ein bestimmtes Ereignis vorausgegangen wie z. B. eine Verletzung? Und was hat ihr Kind vor den Bauchschmerzen gegessen oder getrunken? Sind die Schmerzen so stark, dass ihr Kind sich niederlegen muss, oder kann man es von seinen Beschwerden ablenken?

An welcher Stelle treten die Schmerzen auf? In der Nabelnähe oder anderswo?

Hat Ihr Kind auch noch weitere Beschwerden wie Fieber, Durchfall, Verstopfung, Erbrechen, Schmerzen beim Wasserlassen, Husten oder Blut im Stuhl?

Wie geht es ihrem Kind sonst ganz allgemein? Hat es in der letzten Zeit besondere Erlebnisse gegeben? Hat Ihr Kind stark an Gewicht verloren oder schon länger nicht mehr zugenommen?

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 0 Beiträge

Wir setzen Cookies auf dieser Website ein, um Zugriffe darauf zu analysieren, Ihre bevorzugten Einstellungen zu speichern und Ihre Nutzererfahrung zu optimieren. weitere Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close