Gesundheit

Kinder brauchen Dreck: Was die Experten sagen

Mythen im Expertentest und Kommentare von Ärzten.

Mythen im Expertentest

Schützt Stillen vor Infekten und kann man Entzündungen mit Muttermilch heilen?
Tamás Fazekas, Kinderarzt: „Nein, das Stillen hat viele positive Aspekte, aber tatsächlich haben Kinder, die nicht gestillt werden, nicht mehr Infekte als Kinder, die gestillt werden. Es gibt ja in der Muttermilch nicht alle wirksamen Antikörper. Deswegen ist es auch nicht ratsam, bei Infektionen Muttermilch in die Augen oder in die Nase zu tropfen.“

Ist etwas, das zu Boden gefallen ist und innerhalb von drei Sekunden aufgehoben wurde, ungefährlich?
Manfred Berger, Hygieneexperte: „Das ist Unsinn, so etwas wie eine Drei-Sekunden-Regel gibt es nicht. Wenn etwas hinunterfällt, kontaminiert es. Wie sehr hängt nicht von der Dauer des Kontaktes ab, sondern davon, wo und in welchem Umfeld es landet.“

Muss ich einen heruntergefallenen Schnuller desinfizieren?
Manfred Berger: „Was man mit einem runtergefallenen Schnuller macht, ist eine Gretchenfrage. Die Frage ist, wo fällt er runter? Zu Hause fällt der Schnuller wohl sehr oft runter, auch unbemerkt, und das Kind steckt ihn wieder in den Mund. Das ist im Normalfall keine große Sache und natürlich etwas anderes, als wenn der Schnuller in der U-Bahn runterfällt. Bei Grenzfällen daheim, sagen wir auf Balkonen, sollte man ihn natürlich abwaschen, aber auch nicht gleich desinfizieren.“

Kann man durch den Besuch eines Kuhstalls mit seinem Kind im ersten Lebensjahr Allergien verhindern?
Christof Ebner, Allergologe: „Studien haben gezeigt, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwuchsen, in der Folge signifikant weniger Allergien hatten. Verantwortlich dafür dürften Expositionen sein, die mit Tierhaltung, Stall etc. zu tun haben. Wirksam wurde der protektive Effekt aber nur, wenn diese Kontakte regelmäßig und schon im frühen Säuglingsalter stattfanden. Es ist also leider nicht so einfach, durch einzelne Stallbesuche vorzubeugen.“

Kommentare unserer Experten

„Die Sache mit den Allergien“

Kommentar von Christof Ebner, Allergie-Ambulatorium Reumannplatz

„Allergien sind grundsätzlich erworben, niemand kommt als Allergiker auf die Welt. Aber es gibt eine genetische Disposition zu Allergien, also eine vererbte Allergieneigung. Beim Kennenlernen der Umgebung kann dann das Immunsystem früher oder später eine – falsche – Entscheidung treffen und gegen einen an und für sich harmlosen Stoff unserer Umwelt vorgehen. Es entwickelt sich eine entzündliche Abwehrreaktion bei jedem Kontakt mit diesem Stoff – die Allergie.
Die Weichen Richtung Allergie dürften tatsächlich sehr früh gestellt werden. Nach dem ersten Lebensjahr ist bereits entschieden, ob später einmal Allergien auftreten werden.
Ein Faktor zur Prävention wäre, übertriebene Hygiene zu meiden. Kinder müssen nicht mit sterilisierten Dingen spielen oder gefüttert werden. Grundsätzlich sollte jede Allergie schon in einer frühen Phase ordentlich diagnostiziert und behandelt werden. Unbehandelte – erduldete – Allergien neigen dazu, sich zu verschlechtern. So kann aus einem banalen Heuschnupfen ein allergisches Asthma entstehen.“

 

„Immunschwäche erkennen und behandeln“

Kommentar von Kinderfacharzt Peter Voitl

„Kinder ab dem Alter von sechs Monaten sind acht- bis zehnmal pro Jahr krank. Das ist ganz normal und kein Grund zur Besorgnis. Wenn ein Kind aber immer wieder Antibiotika braucht, immer wieder an verschiedenen Stellen Infekte hat – einmal Harnweginfekte, einmal Angina, einmal Ohrenentzündung – und schlecht auf Antibiotika anspricht, dann wäre das ein Zeichen für eine angeborene Immunschwäche. Dem müsste man dann medizinisch nachgehen.
Ein Problem mit dem Immunsystem kann man oft auch gleich nach der Geburt erkennen. Es sind etwa Nabelinfektionen, die auffällig nicht heilen, bzw. schwere Infekte, Hautinfektionen, die man ungewöhnlich stark sieht. Je nach Ausprägung und Art der Schwäche ist die Behandlung unterschiedlich. Das Immunsystem ist aber ein adaptives System. Wenn nicht viel fehlt, vielleicht nur ein paar Subklassen von Antikörpern, dann holen viele Kinder das durch Kontakte mit Krankheitserregern auf.“

 

„Vitaminpräparate sind teurer Unsinn“

Kommentar von Kinderarzt Tamás Fazekas

„Was bei der Stärkung des Immunsystems keinen Stellenwert hat, sind Vitaminpräparate oder irgendwelche Nahrungszusätze. Vitamin D empfehlen wir zwar bis zum ersten Geburtstag für den Knochenaufbau. Aber danach wird nicht empfohlen, es weiter zu geben, weil es tatsächlich das Immunsystem nicht relevant stärkt und auch keine Infekte verhindert. Und das gilt für alle anderen Vitaminpräparate auch. Sofern ein Kind keine Grundkrankheit hat, ist sein Immunsystem prinzipiell stark genug. Wir haben in Österreich einen so hohen Standard der Ernährung, hier hat ein gesundes Kind keinen Vitaminmangel.“

 

„Hygiene ist ein Balanceakt“

Kommentar von Hygieneexperten Manfred Berger

„Kinder brauchen Dreck. Aber Dreck ist nicht Dreck. Man muss hier zuerst zwischen Stadt und Land unterscheiden. In der Stadt hat man eine hohe Keimkonzentration, die es so am Land nicht gibt. Dort gibt es normalen, bodenständigen ‚Dreck‘, also im wesentlichen Erde. So etwas hat man in der Stadt höchstens in Parks oder, wenn man Glück hat, in einer gepflegten Sandkiste. Daher sollten Kinder, die in der Stadt aufwachsen, schon relativ früh lernen, dass man sich nicht permanent mit den ungewaschenen Händen ins Gesicht, in die Nase, in den Mund fährt. Dass man, wenn man nach Hause kommt, die
Schuhe auszieht und sich richtig ordentlich die Hände wäscht – und auch richtig abtrocknet, sodass sie nicht feucht bleiben.
Darüber hinaus muss jeder Grundhygiene lernen, egal ob er in der Stadt oder am Land aufwächst. Dazu gehört unter anderem, sich täglich zu duschen, von Zeit zu Zeit die Handtücher zu wechseln, dass jeder
sein eigenes Badetuch hat oder dass man sich zweimal täglich die Zähne putzt. Übertriebene Hygiene dagegen kann ebenfalls problematisch sein.“

Forum

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Insgesamt 0 Beiträge

Wir setzen Cookies auf dieser Website ein, um Zugriffe darauf zu analysieren, Ihre bevorzugten Einstellungen zu speichern und Ihre Nutzererfahrung zu optimieren. weitere Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close