Erziehung

„Eltern sollten sich von Anfang an ihrer Vorbildwirkung bewusst sein“

Katharina Weiner leitet das familylab Österreich und ist Coach, Trainerin, Lebens-, Sozial- und Familienberaterin

Ab welchem Alter können Kinder zwischen richtig und falsch, Lüge und Wahrheit unterscheiden?
Kinder unterscheiden zu Beginn nicht zwischen richtig und falsch! Sie sind! Mit all ihren Gefühlen und Erfahrungen. Kinder probieren und verarbeiten im sozialen Umfeld ihre persönlichen Beobachtungen. Wenn also im Kindergarten oder auch zuhause Manipulation und Androhung von Konsequenzen an der Tagesordnung stehen, werden sich die Kinder anpassen und imitieren. Als Eltern sollte man sich von Anfang an seiner Führungs-, Vorbild und Verantwortungswirkung bewusst sein.

Was können die Gründe dafür sein, dass kleinere Kinder lügen?
Bewusste, im Kleinkindalter unbewusste, Unwahrheiten entstehen, wenn Eltern die Wahrheit nicht vertragen. Beispiele dafür wären zum Beispiel: Ein Kind isst, um zu kooperieren, weil die Eltern sich Sorgen machen, dass es zu wenig isst … oder: „Hast Du Deine Hausaufgaben gemacht?“, „Ja!“, weil das Kind weiß, dass es ansonsten Stress in der Familie, bei den Eltern, auslösen würde. In beiden Fällen übernehmen die Kinder ein zu hohes Maß an Verantwortung. Sie geben dabei quasi ein Stück weit sich selbst und das Bedürfnis nach ehrlichem Gesehenwerden auf. Auch das Dazugehören zu Freunden oder Peer-Gruppen ist ein Grund. Es ist unser zutiefst menschliches Bedürfnis, Teil einer Gemeinschaft sein zu wollen! Dafür opfern wir – auch Kinder – oft sehr viel.

Wie ist das bei älteren Kindern?
Egal, welchen Alters, wir wünschen uns, wertvoll für andere zu sein. Wird dieses Gefühl vermisst, entstehen zunächst Traurigkeit, Enttäuschung oder Ärger. Mit ziemlicher Sicherheit kommt damit auch der Gedanke, „nicht gut genug zu sein“. Überforderung kann hier durchaus auch ein Grund sein. Denn dabei verlieren Kinder den echten Kontakt zu ihren Eltern, weil sie gänzlich damit beschäftigt sind, zu kooperieren und den Vorstellungen der Erwachsenen zu entsprechen. Hält dieses Gefühl von nicht „wertvoll sein, wie ich bin“ an, baut sich Aggression auf. Diese findet unterschiedliche Kanäle. Entweder nach innen gerichtet oder nach außen. Kinder entwickeln viele Strategien, um auf ihre Aussichtslosigkeit aufmerksam zu machen. Wenn es hilft, zu lügen, um gesehen zu werden, kann dies durchaus ein sehr mutiger Schritt sein.

Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr Kind lügt?
Ich denke, wir sollten damit aufhören, Lügen an den Pranger zu stellen, sondern vielmehr hinterfragen, warum diese notwendig waren oder sind. Was es in solchen Situationen braucht, ist ein Hinsehen im Jetzt. Eine offene, ehrliche und interessierte Kontaktaufnahme, eine Vereinbarung ohne jegliche Androhung von Konsequenzen. Nur so kann ich erfahren, was tatsächlich der Grund ist. Vielleicht nervt das kleine Geschwisterchen. Oder die Eltern schlagen mit den Zungen. Also verbale Schläge, die mindestens genauso wehtun und mich in meiner Integrität verletzten. Die beste Vorbeugung, um Lügen erst gar nicht entstehen zu lassen, ist meine Beziehung zu meinem Kind. Je besser es mir gelingt, es zu verstehen, seine Grenzen wahrzunehmen und auch mich selbst zu zeigen, umso ehrlicher und vertrauensvoller wird unser Verhältnis zueinander.

Was können Eltern noch tun?
Es ist wichtig, als Familie zu reflektieren, warum das so ist. Wo waren wir (Eltern) nicht ehrlich zu uns selbst und zu anderen? War unser Kind bis jetzt ein Projekt? Welche Geheimnisse tragen wir mit uns? Schämen wir uns dafür? Sind sie uns unangenehm, oder haben wir sie etwa vergessen wollen? Ich weiß, das klingt vielleicht sehr banal, dennoch spüren Kinder so viel mehr, als wir ihnen zeigen, und wir dürfen ihnen auch einiges mehr zutrauen, als wir meist glauben. Man sollte sich seiner eigenen Verantwortung bewusst werden und das eigenen Dilemma thematisieren. Manchmal warten Kinder ein Leben lang auf diesen entscheidenden Schritt.

Wann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?
Sobald ich das Gefühl habe, mit mir selbst als Eltern ins Wanken zu kommen. Es gibt so viele kleine, fast unscheinbaren Begebenheiten, die Eltern irritieren können. Kinder zeigen uns unsere wunden Punkte, unsere Verletzlichkeit, wie sie auch die große Freude in uns auslösen. Wir sollten beides in uns annehmen und um Hilfe bitten, wenn wir nicht mehr weiterwissen. Wir müssen nicht über Generationen alte „Muster“ beibehalten. Es ist also kein Dilemma, unsicher zu sein. Irritationen können auch als Einladung gesehen werden, etwas Neues auszuprobieren!

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