Erziehung

Abenteuer Freiheit – Experten-Interview

„Kinder brauchen Gelegenheit für Fehler. Schauen Sie doch auch mal weg.“ - die Autorinnen Julia Dibbern und Nicola Schmidt im Interview.

Julia Dibbern und Nicola Schmidt haben ein Buch geschrieben, das Eltern Mut zur Gelassenheit macht. Denn die Welt ist gar nicht so gefährlich, so die Autorinnen, wir dürfen unsere Kinder ruhig ein Stück weit allein ziehen lassen.

In „Wild World“ beschreiben Sie, dass Eltern zu sein von Anfang an auch Loslassen bedeutet. Warum fällt uns das manchmal so schwer?
Nicole Schmidt: Ich würde gar nicht sagen, dass das allen Eltern schwer fällt. Aber natürlich ist das Abgeben von Kontrolle, von Gewissheiten immer eine Herausforderung. Denn Loslassen bedeutet Ungewissheit und natürlich auch Rückschläge ertragen. Ertragen, dass es einfach auch mal schief geht, wenn wir nicht dabei sind. Das ist für uns Eltern schwierig, weil unsere Kinder sehr eng an uns dran sind, wir haben eine starke Bindung, und sie sind sehr, sehr wertvoll für uns.

Der Kinderalltag ist oft stark durchgetaktet, dadurch ergeben sich selten Momente, in denen Kinder wirklich unbeobachtet sind.
Schmidt: Kinder brauchen diese Momente, um Dinge auszuprobieren, Fehler machen zu dürfen. Also: Schauen Sie einfach weg. Machen Sie eigene Dinge. Wir müssen nicht die ganze Zeit am Spielplatz sitzen und unsere Kinder angucken. Wir können ein Buch lesen, und wenn die Kinder auf die Nase geflogen sind, dann nehmen wir sie in den Arm, trösten sie. In der Regel entstehen diese Momente dann, wenn Eltern wieder anfangen, ein eigenes Leben zu leben. Das machen wir nicht, wenn sie ein paar Monate alt sind, aber Kinder ab 6 bis 8 – die können das sehr gut verkraften und sehr gut gebrauchen.

Welche Funktion hat Angst? Wann ist es gut, auf sie zu hören, wann ist es vielleicht besser, sie zu überwinden?
Julia Dibbern: Bei eigenen Ängsten muss man genau schauen: Ist das eine echte Angst, meine Angst oder ist es eine gesellschaftliche „Das tut man nicht“-Angst? Und wenn es eine eigene ist: Ist sie in der Realität begründet? Oft nehmen wir Gefahren anders wahr, als sie wirklich sind. Dank Social Media und Sensationsmeldungen erscheint die Welt oft viel gefährlicher, als sie wirklich ist. Natürlich ist aber die Angst, etwa vor einer großen Straße, absolut begründet. Aber Eltern können mit ihren Kindern üben, solche Gefahren zu meistern, bis sich alle dabei sicher fühlen. Für Kinderängste gilt grundsätzlich, dass Eltern sie ernst nehmen sollten. Allerdings nicht, indem sie sie verstärken, sondern eher indem sie mit dem Kind zusammen Möglichkeiten finden, dieser Angst zu begegnen.

Weniger Termine, mehr Vertrauen: Kinder brauchen Freiraum.

Julia Dibbern und Nicola Schmidt, "Wild World", erschienen im Beltz Verlag

Zitatzeichen

Sollten wir unseren Kindern mehr vertrauen, und was kann uns dabei helfen?
Schmidt: Darauf antworten wir immer: Vertrauen Sie auf ihre Erziehung, vertrauen Sie auf das, was sie ihrem Kind bereits mitgegeben haben. Wenn wir unseren Kindern keinen Quatsch mitgegeben, keinen Quatsch vorgelebt haben, dann können sie am Ende so viel Quatsch gar nicht machen.

Warum sind Fehler manchmal gut?
Dibbern: Wir haben diese wahnsinnige Kultur der Fehlersuche. Das kann man aber auch anders sehen: Wenn ich zehn Fehler gemacht habe, habe ich zehnmal Dinge gelernt, die nicht funktionieren. Diese Sicht ist viel erfolgversprechender und viel motivierender für ein Kind. Das hat auch mit Selbstwirksamkeits-Erfahrungen zu tun und mit der Stärkung des Kindes.

Ist eine gute Bindung Vorausetzung für Selbstständigkeit?
Schmidt: So ist es, Bildung kommt von Bindung. Kinder brauchen eine feste Basis, ein festes Urvertrauen, ein festes Zuhause, eine sichere Nähe, eine große starke Bindung. Und dann können wir die Kinder loslassen, dann können sie losziehen, und dann ziehen sie auch sicher los.
Dibbern: Natürlich setzt Loslassen Bindung voraus. Wenn wir satt sind, können wir auch loslassen, und wenn das Kind satt ist, kann das Kind loslassen. Und wir können trotzdem in ständigem Kontakt bleiben, Nähe suchen, wenn wir sie wollen, aber auch Entfernung ertragen, wenn es notwendig ist. Denn es liegt nun mal in der Natur der Dinge, dass die Kinder fliegen werden, ob wir es wollen oder nicht. Und das geht alles leichter, wenn wir vorher Bindung geschaffen haben.

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