Erziehung

Vertrauen schenken

Sichere Bindungen stärken und geben Kindern die Zuversicht, die Herausforderungen des Lebens zu meistern. Doch Vertrauen ist ein heikles Gut. Wird es missbraucht, können Schäden fürs ganze Leben entstehen.

Wir leben in einer Zeit eines immer rascher werdenden Wandels. Die aktuellen Krisen in Wirtschaft, Religion, Kultur und Politik gehen keinesfalls spurlos an uns vorüber. Einst gefestigte Wertehaltungen und Glaubenssätze sind im Umbruch. Kein Wunder, dass sich Ängste und Unsicherheiten breit machen und Eltern, Erzieher sowie Pädagogen die Orientierung verlieren. Vertrauen wird immer mehr zur Mangelware.

Der Schatz des Urvertrauens

„Allzu leicht bekommen Kinder zu viel von dem, was Eltern, Erzieher, Lehrer oder Bildungspolitiker zum Wohle der Kinder aus einer Unsicherheit heraus für nützlich halten, und dabei doch zu wenig von dem, was sie tatsächlich für ihr späteres Leben brauchen“, sagt Karl Gebauer. Um das Leben zu meistern, brauche es laut dem deutschen Bildungs- und Erziehungsforscher neben Wissen, Talenten und Fertigkeiten vor allem eins: Vertrauen.

Gemeint ist das Vertrauen der Kinder zu sich selbst und die feste Zuversicht, neue Herausforderungen anzunehmen und gemeinsam mit anderen eine Lösung zu suchen. „Vertrauen ist der Kitt unserer Gesellschaft“, behauptet der US-Soziologe Michael Welch. Ohne Vertrauen gäbe es keine staatlichen Kooperationen, keine Handelsgeschäfte, keine Beziehung zwischen Arzt und Patient, zwischen Partnern oder Eltern und Kindern. Wer verängstigt und verunsichert ist, tut sich schwer mit neuen Herausforderungen. Dabei ist gerade die Offenheit für Neues für die Entwicklung des kindlichen Gehirns von entscheidender Bedeutung. Kinder kommen normalerweise mit einem großen Schatz an Urvertrauen zur Welt. Geht dies im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung verloren, verlieren sie auch all das, was von diesem Vertrauensschatz getragen wird. Nämlich ihre Neugier, ihre Begeisterungsfähigkeit, ihre Gestaltungskraft und ihre Lernfreude. Dann seien laut Gebauer die besten Förderprogramme nutzlos. „Vertrauen kann man nicht unterrichten und auch nicht einüben, sondern Vertrauen kann einem nur von jemandem geschenkt werden“, verkündet Gebauer. Das wiederum geht nur über starke, emotionale Beziehungen.

Vertrauen beginnt bei sich selbst

„Eine sichere Bindung zu unseren Kindern sollte in den ersten drei Lebensjahren gefestigt werden“, erklärt Katharina Weiner von der Beratungsplattform familylab. Demnach würden viele Eltern gut daran tun, ihr Kind in dieser Zeit nicht etwa von einem Kurs zum nächsten zu schleppen. Die ersten drei Jahre sollten eher intensiv dazu genutzt werden, das eigene Kind einfach einmal kennenzulernen. Wer ist dieser kleine Mensch überhaupt? Wie reagiert mein Kind auf Emotionen? Dabei käme es laut Weiner vor allem darauf an, das Tempo der Entwicklung des Kindes wahrzunehmen und dem Druck von außen standzuhalten. Die Gesellschaft tendiere nämlich häufig dazu, Kinder zu vergleichen, was zu Unsicherheiten führt. Deshalb kann Vertrauen zunächst einmal immer nur bei sich selbst beginnen. Eltern, die sich selbst gut einschätzen können und auf ihre eigenen Fähigkeiten vertrauen, geben dieses sichere Grundgefühl auch an ihre Kinder weiter. Keine Frage: auf das eigene Bauchgefühl zu hören, ist leichter gesagt als getan. Kaum ist ein Kind unterwegs, hagelt es eine Vielzahl an gut gemeinten Ratschlägen, und unzählige Fragen bleiben offen: Wie optimiere ich etwa die Geburt? Wie lange soll gestillt werden? Gegen was soll geimpft werden? Wann beginnt die Fremdbetreuung? Welcher Erziehungsstil ist der richtige? Jungeltern fehle häufig das Vertrauen darauf, jene Entscheidungen zu treffen, die für die eigenen Bedürfnisse die richtigen sind. Deshalb wäre es für alle Bezugspersonen wichtig, sich gelegentlich zurückzulehnen, um zu überlegen, was sie ihren Kindern fürs spätere Leben wirklich mitgeben möchten.

Aus Vertrauen wird Selbstvertrauen

Schon in den 1930er-Jahren hat die ungarische Kinderärztin Emmi Pikler erforscht, wie gute Startbedingungen für eine reife Persönlichkeitsentwicklung aussehen können. Die Aufgaben der erwachsenen Bezugspersonen beschränken sich laut Pikler im Wesentlichen darauf, dem Kind Raum zu geben, sich selber zu entfalten. Weiters zu beobachten und zu führen – und allen voran, Vertrauen zu schaffen. Was könnten wir von Pikler konkret lernen? Zum Beispiel, dass der angeborene Bewegungsdrang ein jedes Babys dazu befähigt, selbständig seine Motorik zu entwickeln. Wir dürfen also einfach darauf vertrauen, dass unser Kind krabbeln, gehen oder klettern lernt. Je mehr wir dem Kind die Freiheit und die nötige Zeit lassen, das eigene Können auszuprobieren, umso besser lernt es, seine Fähigkeiten selbständig gut einzuschätzen.

Das Vertrauen auf das eigene Potenzial hat auch die niederländische Erziehungsberaterin Maria Aarts in den 1980er-Jahren untersucht. Die von ihr entwickelte pädagogische Methode „Marte Meo“ – was so viel bedeutet wie „aus eigener Kraft“ –, soll dabei helfen, die eigenen Stärken besser zu erleben und auf die angeborene Entwicklungskompetenz zu vertrauen. Kinder setzen zum Beispiel schon im Säuglingsalter permanent Signale über ihr Wohlbefinden. Wenn wir behutsam und liebevoll mit dem Kleinkind umgehen und es von Anfang an als vollwertigen Menschen begreifen, lernen wir, diese Signale zu verstehen. Damit schaffen wir eine Beziehung auf Augenhöhe, die wir bestenfalls bis weit über die Pubertät hinaus bewahren können. Dann nämlich, wenn Kinder hinaus in die Welt drängen, ist eine stimmige Vertrauensbasis mehr als gefragt. Am plakativsten zeigt sich die elterliche Führungsrolle in Jesper Juuls Bild des Leuchtturms. Laut dem dänischen Familientherapeuten kontrollieren Leuchturm-Eltern ihre Kinder nicht, sondern sie vermitteln Sicherheit und trauen ihren Kindern auch Verantwortung zu. Zum einen müssen die Botschaften für die Gefahren des Lebens verlässlich und klar sein. Daneben brauchen Kinder Freiräume, etwas selber auszuprobieren, um die eigenen Grenzen selber zu erfahren. Außerdem besitzen Vertrauen stiftende Eltern stets ein offenes Ohr für ihre Kinder.

Haben unsere Sprösslinge das Gefühl, dass jemand für sie da ist, gerade auch dann, wenn etwas schief läuft, haben sie auch den Mut, größere Herausforderungen anzunehmen. Mehr als Strafen wie Hausarrest oder Handy-Verbote brauchen Teenager demnach unser Vertrauen darauf, dass sie ihr Leben mit jenen Werten, die wir ihnen mitgegeben haben, auf die Reihe bekommen. Und dass das Zuhause – gerade im Zeitpunkt des Loslassens – ein verlässlicher Ort für emotionalen Rückhalt bleibt.

Vertrauensverlust & Missbrauch

Erwachsene haben nun mal Macht: emotional, körperlich, finanziell, sozial. Doch diese wird immer wieder missbraucht. Erfahren Kinder keine ausreichende emotionale Sicherheit, kann das schädliche Auswirkungen auf das ganze Leben haben. „Vertrauen ist eine Form gegenseitiger Anerkennung – und birgt ein großes Risiko“, weiß Karl Gebauer. Nämlich das, hintergangen oder ausgenutzt zu werden. Wer vertraut, macht sich also auch verletzbar. Die Ursachen für einen Vertrauensbruch können vielfältig sein: Beziehungsprobleme in der Familie, Abwesenheit der Väter oder deren Desinteresse an der Entwicklung des Kindes. Unklarheiten bei Grenzsetzungen und mangelnde Erziehungsverantwortung. Selbstloses Verhalten von Eltern genauso wie autoritäres.

Stimmt die Vertrauensbasis nicht, signalisieren Kinder je nach Temperament ihre emotionale Unsicherheit. Lernversagen und soziale Auffälligkeiten können die Folge sein. Manche Kinder ziehen sich zurück, andere greifen zu aggressiven oder destruktiven Mitteln, die auf der Bühne des Kindergartens, des Klassenzimmers oder daheim im Wohnzimmer ausgetragen werden. „Unsere Gesellschaft tendiert im Allgemeinen dazu, möglichst brave Kinder hervorzubringen. Dass auch negative Gefühle wichtig sind und ihren Platz haben müssen, wird gerne verdrängt“, sagt Katharina Weiner. Insofern seien laute und aggressive Kinder ein bisschen die Symptomträger unserer Zeit, weil sie schon sehr früh als Störfaktoren angesehen werden.

Überhaupt meinen große Leute, genau zu wissen, wie kleine Menschen zu sein haben oder was sie brauchen. Ständiges Bewerten und Definieren des anderen führe dazu, dass das Selbstwertgefühl des Kindes verletzt wird. Das Kind lädt in weiterer Folge Schuldgefühle auf und denkt: Ich bin schlecht, so wie ich bin. Anerkennung und Trost werden häufig auf anderen Wegen gesucht, wobei später auch Suchtmittel eine Rolle spielen können. Körperliche Gewalt stellt einen eklatanten Vertrauensbruch dar, der erwiesenermaßen zu Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstzweifeln führt. Strafen und Schimpfen führen laut Studien langfristig dazu, dass Kinder das Vertrauen darauf verlieren, dass sie so sein dürfen, wie sie sind. Nicht selten machen sich Menschen ein Leben lang vom Lob anderer abhängig, trauen sich nicht, ihre wahren Gefühle und ihr wahres Ich zu zeigen. Dabei ist jeder Mensch es wert, einfach nur um seiner selbst geliebt zu werden. Umso wichtiger ist es, dass Kinder im Verlaufe ihres Lebens immer wieder Menschen begegnen, die ihnen Vertrauen schenken: Die Eltern. Erzieher und Lehrer. Ein Therapeut oder ein Freund.

LITERATURTIPPS

Karl Gebauer, Gerald Hüther: Kinder brauchen Vertrauen, Patmos Verlag
Jesper Juul: Dein kompetentes Kind, Rowohlt Verlag
Jesper Juul: Grenzen, Nähe und Respekt, Rowohlt Verlag

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