Gesundheit

Varianten der Geschlechtsentwicklung: Bub, Mädchen oder unbestimmt?

Wie geht es Kindern, deren Geschlecht zur Geburt nicht eindeutig bestimmbar war? Sollte ein Kind sein Geschlecht bestimmen können oder welche Folgen hätte ein unbestimmtes Geschlecht auf die Identitätsentwicklung?

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Störungen der kindlichen Geschlechtsentwicklung sind in Diagnose, Beratung und Therapie eine große medizinische Herausforderung – nicht nur für Betroffene, auch für die behandelnden ÄrztInnen. Anders als früher gilt DSD (Differences of Sexual Development) heute als seltene und komplexe Erkrankung mit einer Vielzahl an klinischen Manifestationen. Ziel ist eine interdisziplinäre Behandlung je nach Alter und Ausprägung, und nicht mehr die sofortige operative Geschlechtsanpassung noch im Kindesalter. Ein neu erstelltes Consensus-Papier europäischer MedizinerInnen, PsychologInnen, PatientInnen und Selbsthilfegruppen soll nun als Grundlage eines einheitlichen medizinischen Umgangs mit DSD in Europa dienen. Das Consensus-Papier regelt die medizinische Behandlung von betroffenen Kindern und Jugendlichen. Die MedUni Wien war an den europaweiten DSD-Richtlinien maßgeblich beteiligt.

Was ist DSD?

Menschen, die an der heute als seltene Erkrankung eingestuften DSD leiden, wurden früher als „intersexuell“ bezeichnet. Damit ist gemeint, dass diese Menschen bedingt durch genetische, anatomische oder hormonelle Ursachen nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden konnten. DSD ist allerdings keine eindeutige Diagnose, sondern meint eine übergeordnete Bezeichnung für sehr unterschiedliche klinische Phänomene mit diversen biologischen Ursachen. Im Unterschied dazu werden transsexuelle Menschen medizinisch gesehen als biologisch eindeutig definiert, meinen aber, aus subjektivem Empfinden, dem anderen Geschlecht anzugehören.  Man geht davon aus, dass ca. jedes 1.500. Neugeborene and DSD leidet. In Österreich wären das ca. 50 Kinder pro Jahr.

Geschlechtsanpassende Operationen

In den vergangenen Jahrzehnten wurden bei Kindern mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht oft schon im Kleinkindalter geschlechtsanpassende Operationen durchgeführt. Dabei wurden nicht nur die Eltern unzureichend über Maßnahmen und Ziele informiert, sondern auch die Langzeitfolgen wurden nicht beachtet. Diese Situation verbesserte sich kontinuierlich durch zunehmendes Engagement und Selbstbewusstsein der betroffenen Erwachsenen. Im „Chicago-Consensus“ von 2005 wurde bereits erstmals durch ExpertInnen festgelegt, Kinder nur bei sicherer Geschlechtsidentität zu operieren und eine intensive medizinische und psychologische Betreuung über einen langen Zeitraum durchzuführen. Dennoch kam es immer wieder zu falschen Diagnosen und Fehlbehandlungen.

Ein neues Consensus-Papier regelt künftig die medizinische Behandlung

Nun wurde von führenden medizinischen ExpertInnen, Selbsthilfegruppen und betroffenen Erwachsenen als Resultat eines dreijährigen Forschungsprojekts ein neues Consensus-Papier zum Thema DSD erarbeitet. Das Ziel war, eine ganzheitliche Perspektive auf das weite Feld der DSD zu etablieren und dabei alle Bereiche des Lebens wie Sexualität, Arbeitsleben und Kinderwunsch mitzudenken. Aus Österreich waren u.a. der Kinderurologe Alexander Springer von der Klinischen Abteilung für Kinderchirurgie und der Kinderarzt Stefan Riedl von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien beteiligt. Das Papier wurde nun im renommierten Journal „Nature Reviews Endocrinology “ publiziert.

Diese Punkte zählen zu den grundlegenden Vereinbarungen:

  • DSD ist ein Bündel von langwierigen und komplexen Erkrankungsphänomenen und wurde bisher suboptimal behandelt
  • Es wurde vereinbart, dass Diagnose und Therapien ausschließlich an medizinischen Zentren im interdisziplinären Setting vorgenommen werden sollen.
  • DSD gilt als lebenslange Erkrankung, die eine entsprechende Behandlungsdauer haben muss.
  • Ebenso wurde die Etablierung eines prospektiven Registers vereinbart
„Damit haben wir den Grundstein gelegt, europaweit eine einheitliche Behandlung zu etablieren. Dies ist allerdings erst der Beginn. Wir brauchen Langzeitdaten und gute Studien, damit wir einmal für jeden Patienten die optimale Behandlung festlegen können.“

Alexander Springer, Kinderurologe an der Klinischen Abteilung für Kinderchirurgie der MedUni Wien

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