Tiere

Tierische Therapeuten auf vier Beinen

Ob als Voltigierpferd, Assistenzhund oder einfach nur Kuschelfreund – Tiere sind für Kinder und Jugendliche wichtige Partner.

Tiere Therapeuten auf vier Beinen

Es ist heute ein ganz besonderer Tag für Sara, denn sie hat sich gewünscht, mit einem Sattel auf ihrem Lieblingspferd, Nanuk, zu reiten. Strahlend sitzt sie am Rücken des bedächtig dahintrottenden Haflingerwallachs, der von einer Integrativen Voltigier- und Reitpädagogin durch die Halle geführt wird. Die Zehnjährige streckt ihre Arme aus, rudert damit in der Luft und streichelt sie sanft den Hals des Pferdes und lächelt glücklich.

Seit sieben Jahren kommt Sara zum Schottenhof am Rande des 14. Wiener Bezirks und nimmt an der Pferdeerlebnisgruppe teil. Das Mädchen wurde mit Down-Syndrom geboren, und die Zeit hier ist für Sara etwas Besonderes, wie ihr Papa Andreas sagt: „Es tut ihr gut und macht sie glücklich. Meine Tochter liebt es, sich gemeinsam mit den anderen Kindern um die Tiere zu kümmern.“

Der Schottenhof: Am Rand der Großstadt

Schottenhof
Schottenhof: Zwischen Pferden, Hühnern und Eseln. Voneinander lernen. Einer der Schwerpunkte des Schottenhofs: ist gelebte Integration. Bis zu sechs Kinder und Jugendliche werden in gemischten Kleingruppen betreut. Beeinträchtigte und gesunde Besucher können dabei voneinander lernen. Die Tiere sind speziell geschult und verfügen über große Sensibilität. Im Rahmen der Ausbildung „Integrative Voltigier- und Reitpädagogik“ kann das Konzept des Zentrums erlernt werden. Zusätzlich werden Vorträge, Workshops und Seminare abgehalten, um das Wissen weitergeben zu können. Der Schottenhof ist auf Spenden angewiesen, da mit den Therapieprojekten auch oftmals sozial schwache Kinder betreut werden.

Denn Haflinger Nanuk ist längst nicht der einzige Bewohner am Schottenhof. Insgesamt leben auf dem Gelände mit den Koppeln, Ställen und der Reithalle über 16 Pferde, Esel, Ziegen, Hunde, Katzen, Hühner und Kaninchen und Meerschweinchen – sie alle sind Mitarbeiter der tiergestützten Pädagogik, die hier praktiziert wird. Tagtäglich kommen in die Oase am Rande Wiens, inmitten des Biosphärenparks Wienerwald, zahlreiche Kinder und Jugendliche, um die Vierbeiner und gefiederten Bewohner zu pflegen oder im Rahmen der Integrativen Voltigier- und Reitpädagogik zu reiten.

„Die Kinder und Jugendlichen“, so Gründerin und Leiterin Michaela Jeitler, „die zu uns kommen, haben mitunter schwere geistige und/oder körperliche Behinderungen. Bei uns tauchen sie in ein Umfeld ein, das ihnen hilft, sich zu öffnen, unbeschwert zu sein und sich mitzuteilen. Ohne Druck und Zwang nähern sie sich den Tieren und erleben dadurch erfüllende Momente. Wenn sie eine Reaktion auf eine ihrer Handlungen erleben, löst das oft auch Emotionen aus. Durch den Umgang mit den Tieren, etwa beim Füttern und Streicheln, wird auch die Motorik geschult.“

Ein geschützter Raum

Mit viel Wissen, Engagement und Liebe betreut das pädagogisch geschulte Team die Kinder und Jugendlichen – und begleitet sie auf ihren mitunter schweren Wegen. Und hier werden die kleinen Besucher von den Tieren kompromisslos akzeptiert – ohne bewertet zu werden. Das Ziel: dass Mensch und Tier sich wohlfühlen und gestärkt in den Alltag gehen.

Therapeutische Wirkung von Tieren: Doktor Hund

Assistenzhund
Assistenzhund: Vierbeinige Helferin in vielen Lebenslagen. Unterstützung im Alltag. Labradorhündin Funny ist ein Assistenzhund und hilft Leon, 8, in seinem Alltag. Ausgebildet wurde sie von Karlheinz Ferstl. Bereits 25 Blinden- oder Assistenzhunde hat der Experte für Kinder und Jugendliche geschult. Die Ausbildung dauert zehn Monate und wird auf die individuellen Bedürfnisse der jungen Besitzer abgestimmt. Karlheinz Ferstl: „Es ist immer auch eine Sympathiesache, welcher Hund zu welchem Kind passt. Die Tiere sind wichtige Helfer im Alltag, aber auch Freunde und erleichtern den Kontakt zu anderen Kindern. Für mich ist es die schönste Belohnung, wenn die Besitzer mit ihren Tieren glücklich sind.“

Gleich, ob Therapiereitpferd, Assistenzhund oder Hauskatze – die therapeutische Wirkung von Tieren ist bewiesen: der Kontakt mit Tieren ist für Kinder und Jugendliche in vielen Fällen heilsam, löst Blockaden, entspannt und hilft, dass sich die kleinen Patienten öffnen und bereit für eine Therapie sind. Der Verein „Tiere als Therapie“ etwa engagiert sich für mehr tiergestützter Therapie, aber auch in der Forschung. Obmann-Stellvertreterin Helga Widder zum Beispiel besucht seit 20 Jahren mit ihren Hunden, ungarischen Pulis, Kinder und Jugendliche. So auch jene aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Sie haben mitunter auch psychische Probleme, leider unter Anpassungsproblemen und Aggressionen. Doch, wenn sie die Hunde mit dem charakteristischen zotteligen Fell sehen, fassen viele von ihnen schnell Vertrauen.

Helga Widder: „Die Hunde dienen dann oft als Kontaktbrücke zwischen Jugendlichen und Therapeuten. Einmal haben wir ein 14 Jahre altes Mädchen betreut, dass sich nach massiven sexuellen Übergriffen nicht mehr aus dem Spital getraut hat. Nach drei Monaten hat es dann mit meinem Hund Becsi an der Leine erstmals den Mut dazu gefasst.“

Prozesse positiv verstärken

Das kann auch Beate Pottmann-Knapp, Psychotherapeutin sowie Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin, bestätigen:
„Das Tier bricht das ,Eis‘ sehr rasch und lässt den psychotherapeutischen Arbeitsprozess kreativer, positiver und motivierter gestalten. Speziell ausgebildete Tiere geben dem Therapeuten individuell erlernte Rückmeldung tiefer, dem Menschen nicht zugänglicher emotionale Zustände mit, die dann rascher und gezielter behandelt werden können.“

Die Expertin betont, dass bei Kindern mit körperlichen Defiziten ein Tier wie ein Hund oder Pferd besonderer Motivationsgrund für Bewegungs- oder kognitives Training seien: „Diese Kinder fühlen sich häufig isoliert, einsam, nicht akzeptiert oder unverstanden – umso schöner ist es für sie, sich eng an das Tier schmiegen zu können und ihm alle Probleme und Gefühle anzuvertrauen.“

Immer an Leons Seite

Für Leon ist Funny weit mehr: Sie ist seine Helferin in vielen Lebenslagen und beste Freundin. Leon wurde mit offenem Rücken geboren und sitzt deshalb im Rollstuhl. Seit seiner Geburt musste der heute achte Jahre alte Bub aus Niederösterreich19 Operationen über sich ergehen lassen. Vor einem halben Jahr zog dann Labradordame Funny bei der Familie ein – und veränderte im Leben von Leon, seinen beiden kleinen Brüdern und Eltern vieles. Funny begleitet den aufgeweckten, intelligenten Jungen überall hin – vom Supermarkt bis zur Physiotherapie.

„Wenn mir etwas hinunterfällt“, berichtet Leon stolz, „dann hebt Funny es für mich auf. Sie kann auch Türen und Laden auf- und zumachen. Und wenn ich Hilfe brauche, dann bellt sie auf Befehl, und Mama oder Papa hören es und kommen.“

Ein neuer Lebensabschnitt

Funny steht Leon nicht nur in allen Lebenslagen zur Seite, sie tut auch seiner Psyche gut, wie seine Mama berichtet. So hatte ihr Sohn früher fast jede Nacht Schlafprobleme und schlief sehr unruhig. Seit Funny auf ihrem eigenen Platz in Leons Zimmer schlafen darf, habe sich dieser Zustand um 95 Prozent gebessert, sagt Barbara Gruber: „Funny hat unglaublich viel verändert, seit sie letztes Jahr in unser Leben getreten ist. Nicht nur für Leon, auch für unsere Familie. In der Schule zum Beispiel erzählt mein Sohn all seinen Klassenkollegen immer von Funny und was sie alles kann, wir haben zum Beispiel gerade wieder eine Prüfung mit ihr absolviert. Es macht ihn stolz, auch weil andere Kinder ihn oft auf seine Hündin ansprechen.“

Eine Auszeit für Familien

Rappottenstein
Rappottenstein: Erholung für Eltern & Kinder. Geborgenheit. Seit 2011 gibt es die Kinderburg Rappottenstein, eine Initiative des niederösterreichischen Roten Kreuzes und der Familie Abensperg und Traun. Das Ziel: Familien in Ausnahmesituationen so viel Freiraum wie möglich und so viel Betreuung wie notwendig zu geben. Tiere spielen eine große Rolle bei der Begleitung der Familien, von denen nie mehr als zwei gleichzeitig zu Gast sind, um individuelle Betreuung zu ermöglichen. Die Integration der Tiere in den Erholungsaufenthalt wird durch viele Aktivitäten mit den Familien gefördert. Der Aufenthalt finanziert sich großteils aus Spenden, die Familien leisten einen Unkostenbeitrag, je nach finanziellen Möglichkeiten.

Auch auf der Kinderburg Rappottenstein im Waldviertler Hochland leben zahlreiche tierische Therapeuten wie die beiden Alpakas Lorenzo und Rafael, die Ziegen Mecki und Sissi, zahlreiche Kaninchen und Therapiehündin Maya. Die mittelalterliche Burg versteht sich als Ort der Erholung und des Krafttankens für Familien mit chronisch oder schwerkranken Kindern oder Eltern. Familien, die den Tod eines Familienmitgliedes zu verarbeiten haben, sind hier zu Gast. Bis zu 19 Tage können Familien hier dem Alltag entrücken und Ruhe und Erholung finden. Die Therapeuten bieten Gespräche ebenso an wie Kreativbeschäftigung oder Betreuung der jungen Gäste.

Tiere helfen heilen

Ein wichtiger Bestandteil sind dabei die tierischen Bewohner, die man füttern und pflegen oder mit denen man spazieren gehen kann, wobei in Kooperation mit einem Pferdehof auch Reitstunden geboten werden. Die Tiere der Burg bieten Trost, Nähe und Geborgenheit, was gerade für Familien in schwierigen Lebenssituationen enorm hilfreich sein kann.

„Jedes Kind“, so Laura Sigl, diplomierte Sozialpädagogin und Leiterin, „sucht sich das Tier aus, das zu ihm passt. Manche mögen die aktiven Ziegen, etwas ruhigere Kinder haben die Alpakas am liebsten, da es Tiere sind, auf die man ruhig zugehen muss. Tiere sind so besonders, da sie nicht sprechen und nicht werten. Sie bieten den Kindern gerade in solch schwierigen Lebensphasen Anteilnahme und spenden Trost. Es kommt deshalb oft vor, dass Kinder den Tieren ihre Sorgen anvertrauen. Auch das Reiten hat eine enorme Wirkung: Hier erleben die Kinder ein Gefühl des Getragenwerdens, bei dem sich blockierte Gefühle lösen können.“

Gemeinsam Kraft tanken

Auch Familie Moser war bereits auf der Burg zu Gast. Ende 2015 erhielt Barbara Moser die Diagnose Lymphdrüsenkrebs – für die Alleinerzieherin, ihre heute neun Jahre alte Tochter Livia und den sechseinhalbjährigen Sohn Samuel eine Zeit voller Angst und Sorgen, gefolgt von einer strapaziösen Stammzellentherapie für die Mutter. Der Urlaub wurde da  für die Mutter ebenso wie die Kinder zur wichtigen Auszeit für Körper und Geist.
„Wir haben auf der Burg eine wunderbare Zeit gehabt“, erinnert sich Barbara Moser, „etwa wenn wir mit den Alpakas spazieren waren. Es ist ein Kraftort, der in Krisenzeiten Trost spendet, aber auch viel Freude und Spass bereitet. Das ist der Verdienst des Kinderburg-Teams, aber auch der Tiere, die dort zuhause sind.“

Die Urlaube auf der Kinderburg Rappottenstein haben unter anderem auch dazu geführt, dass Familie Moser mittlerweile zwei neue Familienmitglieder bei sich aufgenommen hat. Seit Kurzem leben zwei Meerschweinchen bei der Mutter und ihren Kindern. Die kleinen Nager geben der Familie etwas, das auch viele andere tierische Helfer schenken können: Freude, Kraft und Zuversicht.

Die tierischen Therapeuten unterstützen

Schottenhof. Neben finanzieller Unterstützung sind auch Tierpatenschaften möglich:
SU – Integratives Voltigiere und Reiten Schottenhof.

IBAN: AT52 2011 1000 0472 0024,
BIC: GIBAATWWXXX

 

Kinderburg. Die Initiative Rapottenstein finanziert sich auch über Spenden.

Österreichisches Rotes Kreuz, Landesverband NÖ, Kinderburg Rappottenstein

IBAN: AT702011120285657404,
BIC: GIBAATWWXXX

 

Leon. Assistenzhund Funny kostet rund 18.000 Euro. Leons Eltern sind für jegliche Unterstützung dankbar.

Raiffeisenbank, AT 283207300000112219

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