Freizeit

Schenken will gelernt sein

Beim Anblick der bunten Geschenkpackerln unter dem Tannenbaum strahlen die Augen der Kinder. Doch oft schießen die Eltern und Verwandten über das Ziel hinaus, und der Weihnachtsabend endet für die Kinder in einem wahren Geschenkerausch.

Spielzeug im Adventkalender, Pakete und Sackerln vom Nikolaus und ein riesen Geschenkeberg zum Weihnachtsfest. Dieses Übermaß können Kinder meist nicht mehr schätzen und sind überfordert. Bei der Bescherung wird dann oft einfach Paket um Paket wild aufgerissen und sofort wieder zur Seite gelegt, um nach dem nächsten zu greifen.

Wenn Eltern ihre Kinder mit Geschenken überhäufen, kann das schnell zu viel für sie werden. „Es gibt viele Kinder, die weit über ein erträgliches Ausmaß hin beschenkt werden“, weiß Psychotherapeutin und Erziehungsberaterin Martina Leibovici-Mühlberger. „Geschenke zu bekommen, wird zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit und bei machen Kinder sogar zu einem Gefühl von Berechtigung im Sinne von ‚Es steht mir zu‘.“ Wenn ein Kind immer bekommt, was es haben will, dann wird das zur Gewohnheit – es kennt es ja nicht anders. Das Kind wird nicht lernen, dass es auch mal verzichten muss, und damit auch keine Frustrationstoleranz lernen.

Geschenke ersetzen keine Liebe

Doch was ist die Motivation der Erwachsenen dahinter? „Oft haben sie ein Gefühl der Schuld gegenüber ihren Kindern, das Materielle soll den Mangel an Zeit, an Intimität, an Möglichkeit, Gemeinsamkeit zu leben, kompensieren. Geschenke werden so oft zu einer Art von Währung“, gibt Leibovici-Mühlberger zu bedenken. Kinder haben jedoch ein feines Gespür dafür, wenn Eltern versuchen, über Geschenke fehlende Zeit und damit ihr schlechtes Gewissen zu kompensieren. Diese Rechnung geht also nicht auf. Empfinden „überbeschenkte“ Kinder noch Wertschätzung für materielle Dinge und verstehen sie die Geschenke tatsächlich als Ausdruck dafür, dass sie geliebt werden? Liebe und Zuneigung kann man nicht kaufen, sondern nur geben. Für Kinder ist es mehr wert, Zeit mit den Eltern zu verbringen, gemeinsam etwas zu unternehmen, Abenteuer zu erleben oder einfach nur zu kuscheln oder mit den Eltern zu reden – also Aufmerksamkeit zu bekommen. Eltern können die Vorweihnachtszeit nutzen und zum Beispiel gemeinsam mit den Kindern Kekse backen oder kleine Geschenke basteln. Diese Dinge kann man nicht kaufen, man muss sie nur arrangieren. Und man muss sich vor allem dafür Zeit nehmen.

Das richtige Geschenk finden

„Ein Geschenk zu bekommen, sollte Seltenheitswert haben, es sollte anlassbezogen und etwas Besonderes sein, und es soll Freude bereiten. Das nehmen wir unseren Kindern, wenn wir sie permanent mit Geschenken überhäufen“, so Leibovici-Mühlberger. Man sollte also wohlüberlegt an die Auswahl der Geschenke gehen. Einfach alles zu kaufen, was die Werbung anpreist, geht in die falsche Richtung und auch oft an den Wünschen des Kindes vorbei. Wenn man ein besonderes Geschenk machen will, gehört auch immer Zeit dazu. Man muss sich mit dem Kind auseinandersetzen. Eltern sind Experten für ihre Kinder, wenn sie sich Zeit nehmen, darauf zu horchen, was für die Kinder wichtig ist, welche Interessen sie haben und welche Wünsche sie äußern, dann lässt sich schnell herausfinden, welches Geschenk es sein soll. Es können auch Kleinigkeiten sein, die große Freude bereiten, teure Geschenke, die möglichst viel hermachen, müssen nicht ins Schwarze treffen. Dazu die Psychotherapeutin: „Es wird gesellschaftlich propagiert, dass das teure Geschenk wichtig wäre. An den materiellen Wert eines Geschenkes wird die Liebe gekettet. Das eigentliche Wesen eines Geschenks ist es aber, Freude zu bereiten. Da geht es nicht um den materiellen Wert.“

Kommt das Kind ins Schulalter, wird es schwieriger, und die Geschenke werden immer größer. Da geht es oft um das Thema Smartphone oder iPad. Auch beginnt ein gesellschaftlicher Zwang, mit dem man als Elternteil umgehen muss. Zehnjährige bekommen ein Smartphone um 1.000 Euro und mehr zu Weihnachten und zeigen nach den Ferien in der Schule, was sie zu Weihnachten von den Eltern bekommen haben. Ein anderes Kind sitzt mit einem Geschenk in einer normalen Preislage daneben und ist der Loser. Das kann schnell zum Frust auf Seiten des Kindes führen. Will oder kann man als Elternteil hier nicht mithalten, muss man es dem Kind erklären und die Argumente verständlich machen.

Geschenkewahnsinn eindämmen

Trifft zu Weihnachten die Familie aufeinander, entstehen auch Rivalitäten zwischen den Verwandten. Nicht selten endet das in einer wahren Geschenkeschlacht. Die Erwachsenen stehen in einer Art Wettkampf miteinander. Wer von den Verwandten gibt das größte Geschenk? Welches Großelternpaar ist das Beste? Das macht sich auch eine schlaue Industrie zu Nutze und fördert diesen Konkurrenzkampf zu Weihnachten besonders. Der materielle Wert eines Geschenkes soll die Größe der Liebe darstellen. Nach dem Motto: Die Oma hat dich besonders lieb, denn sie hat dir das riesige Duplo geschenkt. Es wird dem Kind suggeriert, dass der materielle Wert eines Geschenks die Intensität der Liebe widerspiegelt. Was können Eltern nun dagegen tun, ohne die Verwandtschaft zu beleidigen? Diese Problematik sollte der Familie gegenüber dezidiert angesprochen werden. Die Eltern sollten natürlich freundlich und diplomatisch bleiben, sich bedanken, aber klare Ansagen machen. Man kann eine Familienregel ausgeben, an die sich alle zu halten haben, oder die gute alte Wunschliste wiederbeleben, die man an die Verwandten verteilt. So können den einzelnen Familienmitgliedern Geschenke zugeteilt werden, oder man trägt auf der Wunschliste ein, was man schenken will. So kann auch vermieden werden, dass Geschenke nicht zum Alter des Kindes passen.

Auch könnte die ganze Familie zusammenlegen, um das begehrte iPhone oder ein anderes großes Geschenk gemeinsam zu kaufen. Und es muss nicht immer ein Geschenk zum Auspacken sein. Sie könnten auch eine gemeinsame Unternehmung schenken: einen Kino- oder Zoobesuch, einen Ausflug oder einen kurzen Urlaub. Damit kann man Kinder glücklich machen, und es bleibt länger in Erinnerung als ein Spiel für die Konsole, ein ferngesteuertes Auto oder das zehnte Regenbogenpony.

Die Geschenkeflut der Verwandtschaft kann ein Kind überfordern.

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