Erziehung

Rügen und Rüffel von Fremden

Kinder können anstrengend sein und sich danebenbenehmen. Die eigenen genauso wie fremde. Doch darf wer anderer mein Kind maßregeln? Ist Einmischung automatisch Anmaßung?

Szenen eines Spielplatzlebens: Ein Vierjähriger zettelt einen Schaufelstreit mit einer Gleichaltrigen an. Er wird handgreiflich. Sie weint. Die Mama des weinenden Kindes beschimpft den Angreifer. Dessen Mama wiederum reagiert eingeschnappt. Szenenwechsel: Ein Pärchen möchte im Restaurant in Ruhe zu Abend essen. Die zwei Kinder vom Nachbartisch fangen an, Fangen zu spielen, während deren Eltern in ihr Gespräch vertieft sind. Das Paar ist genervt und ermahnt die Kinder zur Ruhe. Woraufhin der Vater aufschreckt und sich ärgert. Allerdings weniger über seine Kinder, als vielmehr über diejenigen, die sich anmaßen, seine Kinder zurechtzuweisen. Und noch eine Szene, diesmal am Klo daheim. Der Kindergartenfreund ist zu Besuch und steckt eine Verwarnung ein, weil er das kleine Geschäft besser nicht im Stehen absolvieren soll – hohe Treffsicherheit hin oder her.

Natürlich darf mein Kind nicht alles machen.

Hans-Otto Thomashoff, Psychiater

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Recht auf individuelles Erziehen

Dass man andere Kinder „miterzieht“, mag in früheren Zeit vielleicht noch selbstverständlich gewesen zu sein. Heutzutage empfinden Eltern Kritik an den eigenen Kindern schnell als Anmaßung. Und umgekehrt fragen sich Außenstehende oft, inwieweit „Erziehungsmaßnahmen“ bei fremden Kindern überhaupt angemessen sind. „Jeder hat ein Recht auf seine eigenen Vorstellungen von Erziehung“, sagt Hans-Otto Thomashoff.

Weil Erziehung primär mit Vorleben zu tun hat, spricht sich der renommierte Psychiater und Buchautor gegen eine Einmischung von außen aus. „Wir entscheiden heute selbst, welches Vorbild wir für unsere Kinder sein möchten. Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der Platz ist für so viele unterschiedliche Lebensentwürfe und in der jeder sein Leben individuell gestalten kann.“ Ein Freibrief also für zügelloses Verhalten? Mitnichten. Bei offenen Konfrontationen – auch wenn unterschiedliche Wertevorstellungen aufeinandertreffen – heißt es, klar Haltung zu beziehen. Eltern sind Vorbild für ihre Kinder – und auch Streiten will gelernt sein. Gute Erziehung besteht laut Thomashoff aus zwei Grundsäulen: dem Kind eine sichere Bindung bieten und bewusstes Vorleben von einem zivilisierten Umgang miteinander. So essenzielle Dinge wie Mitgefühl oder Rücksicht könne man nämlich nicht predigen – man müsse sie schlichtweg praktizieren.

Kritik am Kind, Kritik an mir selbst?

Das Gemeine an Maßregelungen von außen: Sie treffen nicht selten mitten ins liebende Herz der Eltern, deren Kinder sich eben nach Meinung anderer danebenbenehmen. Richtig haarig wird es laut dem Experten besonders dann, wenn Erziehen als Leistungsakt gesehen werde, was heutzutage leider häufig der Fall sei. Bei Eltern, die ihre Kinder als Aushängeschilder betrachten, führt der geringste schiefe Blick einer anderen Mütter zur Vorstellung, dass man sein Kind nicht im Griff habe, in Sachen Erziehung also versage.

Dabei hätten es Väter und Mütter gar nicht nötig, darauf aus zu sein, möglichst viele „Thumb-ups“ zu ernten. „Erziehen ist nichts anderes, als Kinder darauf vorzubereiten, dass sie im wirklichen Leben zurechtkommen“, so Thomashoff. Gemeint ist die Realität, die keine idealisierte ist und in der auch Streit, Wut oder Fehler dazu gehören. Und in der es möglich ist, in Auseinandersetzungen seine eigenen Ansichten zu vertreten, ohne die der anderen zu verteufeln. Zwar mögen die Regeln und Haltungen anderer nicht immer glücklich sein, doch stehen sie den anderen genauso zu wie mir meine eigenen. Sofern also nicht physische oder psychische Gewalt im Spiel ist, dürfen sich Eltern ruhig in Toleranz üben.

Hans-Otto Thomashoff: „Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden“, Verlagsgruppe Random

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