Erziehung

Nur die Ruhe bewahren

So schaffen Eltern es, ihren Kindern auch in stressigen Situationen ohne Geschrei und laute Worte, dafür aber liebevoll zu begegnen. Ein neues Buch gibt Tipps, wie man auch in schwierigen Momenten ruhig und entspannt bleiben kann.

Der kleine Sohn wirft sich im Supermarkt voller Wut auf den Boden, weil er die ersehnte Familienpackung Schokoeis nicht bekommt, die Tochter bekommt einen hysterischen Anfall, weil sie an einem Wintertag statt einer Strumpfhose und eines warmen Kleides viel lieber Sandalen, Shorts und T-Shirts tragen möchte – Szenen, die alle Eltern kennen. Ebenso nicht unbekannt ist den meisten wohl auch das Gefühl, dass man dann oftmals nur noch laut werden kann und schreit. Eben weil die Überforderung so groß ist, man nicht mehr ein noch aus weiß, gefolgt vom schlechte Gewissen, weil man laut geworden ist.

Hilfe zur Selbsthilfe

Dass es auch anders geht, zeigen Sandra Teml-Jetter und Jeannine Mik in ihrem neuen Buch „Mama, nicht schreien!“ (Kösel Verlag). In ihrem Ratgeber zeigen die beiden Autorinnen wie man bei Stress, Wut und starken Gefühlen liebevoll bleiben kann, und führen zahlreichen Übungen und Notfallmaßnahmen an – denn kaum jemand macht Eltern so wütend wie die eigenen Kinder. „Dabei gibt es“, sagt Dreifach-Mama Sandra Teml-Jetter, „in den meisten Familien klassische Stresssituationen: In der Früh rechtzeitig aus dem Haus kommen, Zähne putzen und schlafen gehen.

Das sind die drei Bühnen, auf denen sich Konflikte oft entfalten. Streit zwischen Geschwistern ist oft auch noch ein Thema, bei dem Eltern laut werden.“ Teml-Jetter ist Einzel- und Paarcoach sowie Eltern und Familienberaterin (www.wertschaetzungszone.at) und tritt nachhaltig für den emotionalen Klimawandel in Familien ein. Sie betont, dass bei allen diesen Situationen der Stress steigt und Eltern oftmals in alte Muster zurückfallen, weil sie dann so reagieren, „wie unsere Eltern bei Stress reagiert haben – und die sind dann oft laut geworden. Die laute Stimme hat damals vielleicht schon dazu geführt, dass die Kinder gehorcht haben.“

Das C.I.A.-Programm

Um auch in den unterschiedlichsten Stresssituationen ruhig zu bleiben, haben die beiden Autorinnen ein Konzept entwickelt, das Eltern helfen soll, die Nerven zu bewahren: den C.I.A.-Plan. Das Ziel: etwas zu finden, das so prägnant ist, dass Eltern es nach und nach immer präsent haben – auch wenn es einmal schwierig wird und eine Situation droht, zu eskalieren. Jeannine Mik ist diplomierte Kommunikationstrainerin in der Erwachsenenbildung und als Bloggerin auf Mini and Me (www. mini-and-me.com), einem der erfolgreichsten Eltern-Blogs in Deutschland und Österreich, tätig: „C.I.A. ist eine Art kurzer Leitfaden, der dabei hilft, sich aufs Wesentliche zu besinnen. C steht dabei für Cut, I für Imagine und A für Act. Es geht darum, sich selbst in seinen Automatismen zu stoppen (Cut), das ist der wichtigste und schwierigste Teil. Dann können wir uns vorstellen (Imagine), wie wir automatisch handeln würden. Wenn wir uns erlaubt haben, zu sehen, wie wir nicht sein wollen, hatten wir Zeit, das, was in uns ist, zu prozessieren. Durchs Stoppen und Vorstellen sind wir bewusster bei uns als zuvor. Wir können nun bedacht und so, wie wir es wirklich wollen, handeln (Act).“

Jede Familie ist unterschiedlich

Bei allen Ratschlägen ist den Autorinnen wichtig, zu betonen, dass man über Familien kein Generalkonzept stülpen kann, mit dem alle Probleme auf einmal weggewischt sind. Denn jede Familie ist speziell und einzigartig, ebenso wie die Beziehungen, die die jeweiligen Mitglieder miteinander haben. Generell raten die beiden Expertinnen, in Extremsituationen immer zuerst zur Ruhe zu kommen – und dann erst zu handeln. Ganz nach einem Motto „Feel your own pulse first“. Sie betonen, dass Eltern, wenn sie selbst in Erregung sind, ihrem Kind nicht beistehen können. Dabei gilt als Erstes, dass man sich zuerst beruhigt, durchatmet und in emotionale Sicherheit bringt – erst dann kann man sich zuwenden: „Das Zweite: Nimm dich selbst und deine Grenzen ernst. Das Dritte: Übernimm Verantwortung für deine Emotionen – und erlaube dir Fehler. Nicht alle Eltern reagieren und empfinden gleich. Für die eine Mutter ist es kein Problem, wenn das Kind vor anderen schreit und weint, während es für die andere Stress bedeutet. Jede Beziehung ist einmalig, und jede Familie hat ihre eigene Biografie und ihr eigenes Familienklima.“

Zentrum für bewusste Elternschaft

Eines der großen Ziele und Anliegen von Jeannine Mik ist es, beziehungsorientiert denkende und bewusst lebende Eltern zu vernetzen. Denn ihrer Ansicht nach braucht es den Austausch, den Kontakt auch im echten Leben – nicht nur virtuell. Das erste sichtbare Ergebnis dieser Bemühungen war vor rund eineinhalb Jahren das „Beziehungscafé“, eine Veranstaltung für bewusste Elternschaft, die bislang zehnmal in Österreich und Deutschland stattgefunden hat. Zu Beginn des Jahres 2019 hat die Mutter einer kleinen Tochter schließlich in Wien das Zentrum für bewusste Elternschaft (www.bewusstelternsein.com) gegründet: „Mit dem Zentrum will ich einen Schritt weitergehen – und einen Ort bieten, an dem Eltern Raum für Austausch, Ankommen und Lernen haben, bei dem sie sich sicher sein können, dass die gelebten und vorgetragenen Werte ihren eigenen entsprechen. Die Grundhaltung ist einerseits Jesper Juuls ,Gleichwürdigkeit‘ und andererseits das Wissen: Unsere Kinder ,sind‘ schon. Wir Eltern sind es, die wieder ,werden‘ dürfen. Alle Angebote stimmen mit dieser Haltung überein. Das ist mir sehr wichtig.“

Vom Prinzip der Gleichwürdigkeit

Die Philosophie von Jesper Juul spielt in „Mama, nicht schreien!“ ebenfalls eine Rolle, nicht zuletzt, da Sandra Teml-Jetter bei dem berühmten und kürzlich verstorbenen dänischen Familientherapeuten Fortbildungen absolviert hat. Sie betont, dass mit dem Begriff der Gleichwürdigkeit gemeint ist, dass es in einer Familie ein natürliches Machtgefälle und eine Hierarchie gibt. Dies ist dem Sinne zu verstehen, dass die Eltern jene Personen in einer Familie sind, die naturgemäß über mehr Lebenserfahrung verfügen und darüber hinaus die monetäre Macht haben. „Aber nach dem Prinzip der Gleichwürdigkeit darf jeder für sich ein eigener Kreis sein“, sagt Sandra Teml-Jetter, „und wird auch als eigener Mensch mit der gleichen Würde betrachtet. Denn die Würde ist gleich – und damit auch der Wert des Menschen.“ Jeder Kreis darf sein, und jeder darf auch seine eigene Ansichten darlegen, wie Teml-Jetter betont. Natürlich sei es nicht einfach, „mit unterschiedlichen Ansichten umzugehen, vor allem, wenn man erzogen worden ist, dass nur die Meinung des Familienoberhauptes gilt.“ Schlussendlich gilt aber: Mit etwas mehr Ruhe und Verständnis könnte vielleicht so manche Stresssituation vermieden werden – und der Satz „Mama, nicht schreien!“ vielleicht etwas seltener fallen.

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