Medien

Neue deutsche Kinderwelle

Musik für Kinder kann auch Eltern Spaß machen. Immer mehr Musiker sehen es als ihre Aufgabe, den schlechten Ruf des Kinderliedes zu retten. Das klingt nach Punk-Rock, Pop oder Hip-Hop, vor allem aber gar nicht kindisch.

Mit der Geburt eines Kindes verändert sich der eigene Kosmos. Ganz automatisch vollzieht sich ein Perspektivenwechsel – und das ist gar nicht schlimm, kann fallweise aber trotzdem ziemlich nervtötend werden. Etwa, wenn man sich der kleinkindlichen Unterhaltung annimmt und hoffnungsfroh „die besten Kinderlieder“ auf YouTube sucht. Unweigerlich tut sich dann nämlich eine Welt des Schreckens auf. Und die hat mit Umtata und Gute-Laune-Terror zu tun, mit dauergrinsenden Onkels an der Gitarre und Zahnputzsongs mit Technobeat. Musik für Kinder ist ein vernachlässigtes Genre, und das ist freundlich formuliert. Dabei muss das nicht so sein, so hat „Family Music“ im angelsächsischen Raum eine lange Tradition und die Grammys widmen dem Genre immerhin eine eigene Kategorie („Best Children’s Album“). In jüngster Zeit bricht die Welt des Kinderlieds nun zum Glück auch im deutschsprachigen Raum langsam auf. Der Grund dafür lautet Notwehr. „Ich hätte mich nie mit dem Thema beschäftigt. Bis ich selbst Vater wurde und mich persönlich angegriffen fühlte. Da musste ich mich wehren“, erzählt etwa Kai Lüftner, der sein Handwerk zunächst in einer Ska-Rock-Band gelernt hat, bevor er Vater wurde und schließlich das Rotz’n’Roll-Universum schuf. Drei Platten, zehn Bücher und jede Menge Merchandise umfasst diese Welt mittlerweile, zum Rotz’n’Roll-Open-Air in Berlin vor wenigen Wochen kamen immerhin 10.000 Besucher. Zahlen, die zeigen, dass der Bedarf an ernst gemeinter Unterhaltung für Kinder riesengroß ist, nicht zuletzt auch vonseiten der Eltern.

Musik auf Augenhöhe

„Es ist ja immer jemand dabei, der auch zuhören muss. Schon allein deswegen finde ich es wahnsinnig nervig, dass das immer getrennt wird und Kinderunterhaltung immer irgendwie Humpty Dumpty sein kann“, sagt Matthäus Bär, der hierzulande so etwas wie der Retter des guten Geschmacks in Sachen Kindermusik ist. „Es geht mir vor allem darum, Stimmungen zu transportieren. Die Gefühlslagen sind doch bei Kindern und Erwachsenen ziemlich ähnlich – es geht immer darum, Songs zu machen, die diese Gefühle auch transportieren.“

„Es geht darum, Musik zu machen, die ich mir auch selbst anhören würde. Und nicht zu sagen: Weil’s für Kinder ist, darf’s ruhig irgendwie Humpty Dumpty sein.“

Matthäus Bär

Zitatzeichen

Freiheits- und Protestmusik

Will man seine Zielgruppe ernst nehmen, so darf man sie nicht mit billigen Beats abspeisen und schon gar nicht mit eindimensionalen Inhalten, ist Bär überzeugt: „Es geht viel um Emotionen. Kinder sind ja auch manchmal einfach traurig, deswegen kommt auf die nächste Platte etwa auch ein Depressionssong. In der herkömmlichen Kindermusik ist nicht so viel Platz für die Gefühle dazwischen. Die gehen da über den Regenbogen.“

Egal ob Hip-Hop (Deine Freunde), Beatbox und Reggae (Muckemacher) oder Gitarrenpop (Bummelkasten) – was alle Protagonisten dieser neuen deutschen Kinderwelle verbindet, ist, dass sie den Kindern auf Augenhöhe begegnen und ernsthaft versuchen, sich in ihre Lebenswelt hineinzuversetzen. Dabei ziehen sich gewisse Motivstränge quer durch das Genre. Neben allerlei Tiergeschichten geht es da ums Aufbleiben und Angeben, ums Eisessen und Zeiteinfordern. Und vor allem: ums Neinsagen. Ein Hauch von Protestmusik kommt auch von Gisbert zu Knyphausen („Immer muss ich alles sollen“ vom Kinderlied-Sampler „Unter meinem Bett“) oder der Wiener Liedermacherin Suli Puschban, deren aktuelles Album „Ich hab die Schnauze voll von Rosa!“ auch ein Aufschrei gegen die grassierende „Pinkifizierung“ ist. „Wir wollen Kindermusik so aufnehmen, dass sie beim ersten Hören nicht so sehr nach Kindermusik klingt – tanzbar, zum Mitgrooven und Singen, anspruchsvoll“, erzählen Muckemacher, die selbst schon lange Musiker waren, bevor sie Eltern wurden. Ein Vorsatz, dessen Umsetzung ihnen und einer ganzen Reihe ihrer Kollegen gelingt. So gut, dass mittlerweile immer mehr Eltern Kinderlieder hören – freiwillig und manchmal sogar ohne die Kinder.

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