Gesundheit

Migräne: Wie Bauchweh im Kopf

Immer häufiger leiden schon kleine Kinder unter heftigen Migräneattacken. Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern schränkt auch alle Aktivitäten ein und beeinträchtigt die Stimmung. Bestimmte Lebensstiländerungen können aber viel bewirken.

Das neue Lieblingsspielzeug ist von einer Minute auf die andere völlig uninteressant, das Kind wird ganz blass, ja: richtig bleich, klagt über Übelkeit und Bauchweh und vor allem über ganz furchtbare hämmernde Kopfschmerzen – so etwa kann sich eine Migräneattacke bei Kindern äußern. Und das leider richtig oft, leiden doch rund drei bis fünf5 Prozent der Drei- bis Elfjährigen darunter. Von älteren Kindern sind sogar noch mehr betroffen, denn die Erkrankungshäufigkeit steigt bis zum 18. Lebensjahr bei Burschen auf etwa sieben und bei Mädchen auf zwölf Prozent an.

So leiden Kinder: typische Symptome

„Kinder spüren Migräne nicht am ganzen Kopf, sondern meist hinter der Stirn oder beidseits an der Stirn“, weiß Çiçek Wöber‐Bingöl, Fachärztin für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters. Sie hat die Kinderkopfschmerzambulanz im AKH Wien gegründet, 25 Jahre geleitet und in dieser Zeit rund 15.000 Kinder und Jugendliche behandelt. „Je jünger ein Kind ist, desto eher geht Migräne mit Übelkeit und Erbrechen einher, bei Kindern und Jugendlichen gehen der Migräne auch häufig Bauchschmerzen voraus, für die sich keine Ursache findet“, so die Expertin. Viele Kinder beschreiben Migräne auch als Bauchweh im Kopf. Andere schlafen während einer Migräneattacke ein, um später schmerzfrei aufzuwachen. Einigen ist schwindelig, und wieder andere reagieren empfindlich auf Lärm, Licht und Gerüche. Eine sogenannte Aura ist bei Kindern selten und kommt eher bei Jugendlichen vor. Während der Aura kommt es zu Sehstörungen, manchmal werden Gegenstände kleiner oder größer wahrgenommen. Die Dauer dieser Migräneattacken ist in den ersten zehn Lebensjahren zwar kurz, aber besonders heftig. Mit dem Älterwerden nimmt die Dauer zu. Wöber‐Bingöl: „Auffällig ist auf jeden Fall, dass kindliche Migräne im Laufe der vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen ist – woran das liegt, wird derzeit untersucht.“

Schlafprobleme können Attacke auslösen

Auch nicht viel weiß man über das Entstehen von Migräne. Erbfaktoren dürften aber eine entscheidende Rolle spielen – so kommt es zu familiären Häufungen. Außerdem gibt es bestimmte Trigger – also Auslöser –, die Attacken häufig vorangehen. Welche davon Migräne initiieren ist von Kind zu Kind verschieden. Als häufigste Auslöser gelten Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus – also entweder schläft das Kind zu wenig oder zu viel –, schulischer Stress oder auch ein Zuviel an Freizeitaktivitäten, Konflikte in der Familie und Ängste. Aber auch zu geringe Flüssigkeitszufuhr und verschobene oder ausgelassene Mahlzeiten dürften eine Rolle spielen. „Sensorische Reize wie Licht, Lärm und Gerüche dürften als Trigger
bei Migräne mit Aura eine größere Rolle spielen als Migräne ohne Aura“, erklärt Wöber-Bingöl. „Allgemein gesprochen sind häufige Migräne-Attacken ein Hinweis, dass es der Seele oder dem Organismus des Kindes nicht gut geht. Aufgabe des Arztes ist es dann, an der Oberfläche zu kratzen und den Grund für die Häufigkeit zu suchen. Auch darin liegt die Kunst der Behandlung von Migräne“, so Wöber-Bingöl.

Diagnose: Gespräch und Tagebuch

Haben Eltern die Vermutung, dass ihr Kind unter Migräne leidet, sollten sie das unbedingt von einem Experten abklären lassen. Erster Ansprechpartner ist der Kinderarzt, spezielle Kinderkopfschmerzambulanzen gibt es in verschiedenen Krankenhäusern. In einem ausführlichen Gespräch wird dieser versuchen, die Beschwerden, die Begleitsymptome und die Lebensumstände festzustellen, also z. B. welchen Stresssituationen, das Kind ausgesetzt ist oder wie viele Freizeitaktivitäten es hat. Bei einer körperlichen und neurologischen Untersuchung, wird auch nach Verspannungen im Bereich der Kopf- und Nackenmuskulatur geschaut oder der Blutdruck gecheckt. Wichtige Informationen kann auch ein Migräne-Tagebuch liefern.

Richtig behandeln

Klar, dass Eltern ihren Kindern Schmerzen ersparen wollen, dennoch ist eine eigenständige Gabe von schmerzstillenden Mitteln nicht empfohlen, sondern unbedingt mit dem Arzt abzuklären. „Kindern im Vorschulalter oder im frühen Schulalter hilft es schon oft, sich in einen abgedunkelten, ruhigen, gut temperierten und gut gelüfteten Raum zurückzuziehen. Sofern es die Übelkeit zulässt, sollte ein Glas Wasser getrunken werden. Die Kinder sollten sich hinlegen und möglichst schlafen“, erklärt Wöber-Bingöl. Sind die Kopfschmerzen sehr stark und dauern erfahrungsgemäß länger als zwei Stunden an, ist eine medikamentöse Behandlung sinnvoll. Wichtig ist, so Wöber-Bingöl, dass man die Mittel so früh wie möglich, also am Beginn einer Migräne-Attacke verabreicht: „Denn so kann die Attacke am besten abgefangen werden.“ Am häufigsten werden die Wirkstoffe Mefenaminsäure, Paracetamol und Ibuprofen eingesetzt. „Wichtig ist auf jeden Fall, dass Kindern und Eltern ein vorsichtiger Umgang mit den schmerzstillenden Medikamenten vermittelt wird, um zu verhindern, dass sich später ein übermäßiger Medikamentengebrauch oder sogar eine Medikamentenabhängigkeit entwickelt“, so die Spezialistin. Bei vielen betroffenen Kindern helfen auch alternative Verfahren wie Biofeedback oder andere Entspannungsverfahren.

Lebensstiländerung zur Vorbeugung

Als besonders effektive Prophylaxe für Migräneattacken empfiehlt die Neurologin eine Lebensstiländerung: ausreichender und regelmäßiger Schlaf, rechtzeitiges Aufstehen in der Früh ohne jede Hektik, Zeit für ein Frühstück und auch sonst regelmäßige Mahlzeiten und Trinkpausen sowie ausreichend Ruhepausen und medienfreie Phasen sind für kleine Migräne-Patienten von großer Wichtigkeit. Wöber‐Bingöl: „Man kann sich das sinnbildlich so vorstellen: Angenommen, im Schlaf beträgt die ‚Hirngeschwindigkeit‘ etwa 20 km/h, dann steigt sie beim Aufwachen auf 40 km/h. Wird die Bettdecke zurückgeschlagen und werden das Klappern von Geschirr sowie der Geruch des Frühstücks wahrgenommen, sind Sehzentrum, Hörzentrum und der motorische Kortex involviert. Das entspricht etwa 60 km/h. Beim Aufstehen kommt unter anderem der Gleichgewichtssinn ins Spiel, und man ist mit 80 km/h unterwegs. Wenn das Kind zur Schule geht, Straßenverkehr und Lärm ausgesetzt ist, sich orientieren und womöglich auch noch rennen muss, um rechtzeitig anzukommen, dann ist man schnell bei 200 km/h, und das ist eine große Belastung für das Gehirn.“ Zu wenig Zeit und zu viel Stress steigern also die Wahrscheinlichkeit für Migräneanfälle. Das Positive: Die Migränehäufigkeit bei Kindern kann deutlich reduziert werden, wenn die Regeln für den Alltag beachtet werden.

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