Gesundheit

Mein Kind ritzt sich!

Wer ritzt, fügt sich absichtlich Wunden und damit Schmerzen zu. Die Eltern sind verzweifelt und fragen sich, was um alles in der Welt ihr Kind dazu veranlasst. Wie betroffenen Kindern und Jugendlichen geholfen werden kann.

Alexandra ist 14 Jahre alt und ritzt sich seit zwei Jahren tiefe Schnitte in den linken Oberarm. Sie benutzt dazu ein Messer, das sie immer bei sich trägt. Alexandra: „Wenn es mir schlecht geht, kann ich nicht anders. Das ist wie ein Zwang. Es tut schon weh, aber das ist mir in dem Moment egal. Wenn ich fertig bin, fühle ich mich erleichtert. So, als ob ein großer Druck von mir abgefallen ist. Aber sehr lang dauert das nicht.“

Warum geht es dir denn schlecht, Alexandra? „Ich glaube, weil meine Eltern sich getrennt haben. Seither arbeitet meine Mutter ständig und hat keine Zeit mehr für mich. Ich bin viel allein und kann mit niemandem reden. Wenn sie nach Hause kommt, ist sie sehr müde und fragt nicht einmal, wie es mir geht. Mein Vater hat eine neue Familie, und wir haben keinen Kontakt.“ Alexandra hat mit der Selbstverletzung eine Methode gefunden, nach Hilfe zu rufen. Doch es dauerte über ein Jahr, bis ihrer Mutter etwas auffiel. Nun gehen beide in Therapie, und langsam zeichnet sich eine Besserung von Alexandras Zustand ab.

In ganz wenigen Fällen stecken keine dramatischen Gründe dahinter, wenn Kinder sich ritzen. Manche handeln aus Neugier, weil die beste Freundin so etwas tut oder es in ihrer Clique „in“ ist. Andere wollen es einem berühmten Filmstar gleichtun. So wurde das Ritzverhalten der Schauspielerin Lindsay Lohan in vielen Medien thematisiert und danach kopiert. Doch je länger diese Selbstverletzungen andauern, desto größer ist die Gefahr, dass das Verhalten zur Gewohnheit wird. Untersuchungen haben ergeben, dass beim Ritzen Endorphine freigesetzt werden, die zu einer regelrechten Sucht führen können. Je früher professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird, desto größer sind die Chancen, das selbstschädigende Verhalten zu beenden.

Wie häufig verletzen sich Kinder und Jugendliche selbst?

Bis zum 13. Lebensjahr zeigen ungefähr drei Prozent der Kinder selbstverletzendes Verhalten. Bei den 14- bis 17-Jährigen ritzen sich ca. 29 Prozent der Altersgruppe. Danach werden die Zahlen leicht rückläufig, bis es bei den über 20-Jährigen wieder zu einer Zunahme kommt. In extremen Fällen kann es 15 Jahre dauern, bis Betroffene damit aufhören. Generell leiden eher Mädchen und junge Frauen unter dem Zwang, sich Schmerz zuzufügen, als männliche Kinder und Jugendliche. Circa 85 Prozent der Ritzer verletzen sich an den Extremitäten, nur 15 Prozent am restlichen Körper.

Wie reagiert die Umwelt auf Kinder, die sich ritzen?

Die meisten fühlen sich verstört und abgestoßen. Außerdem stehen sie diesem Verhalten rat- und hilflos gegenüber. Wenn es den Kindern und Jugendlichen nicht gelingt, die Narben zu verbergen, und sie nach ihrem Ursprung gefragt werden, kommen meist folgende Antworten: „Das kommt vom Spielen mit unserer Katze“, „Ich bin in einen Strauch gefallen“, „Ich habe im Garten gearbeitet“ oder Ähnliches. Eltern sollten auf jeden Fall misstrauisch werden, wenn die Narben nicht wie Zufallskratzer aussehen, sondern parallel angeordnet sind und regelmäßig über einen längeren Zeitraum immer wieder zu beobachten sind.

Wo finden Eltern und Betroffene Hilfe?

Fest steht: Kinder und Jugendliche, die sich aus Verzweiflung ritzen, brauchen unbedingt Hilfe, die Eltern und Familie meist nicht geben können. Ein erster Schritt wäre, sich an den Hausarzt zu wenden. Dieser überweist an einen Kinder- und Jugendtherapeuten oder in schwerwiegenden Fällen an einen Kinder- und Jugendpsychiater. In extremen Fällen kann auch ein stationärer Aufenthalt helfen.

Welchen Erfolg kann die Hilfe von Experten bringen? Und bleiben die Narben für immer?

Ungefähr 70 bis 80 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen kommen vom Ritzverhalten wieder los. Wichtig ist, dass rechtzeitig professionelle Unterstützung in Anspruch genommen wird. Manche Narben sind sehr auffällig und könnten später bei anderen Fragen hervorrufen. Und es will wohl kaum jemand zugeben, dass Ritzen für ihn früher ein Thema war. Gott sei Dank gibt es heute die Möglichkeit, die Narben mit Laser zu entfernen oder zu mildern.

Liebe Eltern – seien Sie wachsam und aufmerksam, ob Ihr Kind auf diese dramatische Weise nach Hilfe ruft. Denn wenn das Messer die Haut zerstört, ist das nur ein äußeres Zeichen. Der Schmerz sitzt viel tiefer und belastet die Seele. Darum versuchen Sie, herauszufinden, welche Situationen für das Kind so unerträglich sind, dass es zu solch drastischen Maßnahmen greift. Und dann geben Sie ihm liebevoll jede Unterstützung, die nötig ist.

RAT UND HILFE

Helpline des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen
01-5048000
Rat auf Draht 147
Sozialpsychiatrischer Notdienst 01-31 330

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