Gesundheit

Leben ohne Plastik

Die Plastikverschmutzung hat ungeahnte Ausmaße angenommen, immer mehr Menschen möchten auf Wegwerfplastik verzichten. familiii hat mit drei Familien gesprochen, die ihren gesamten Lebensstil umgestellt haben.

In einem kleinen Ort außerhalb von Graz lebt Sandra Krautwaschl mit ihrer Familie. Beinahe zehn Jahre ist es her, seit die Steirerin, ausgelöst durch Werner Bootes Film „Plastic Planet“, einen Entschluss fasste: Gemeinsam mit ihrem Mann und den drei Kindern wollte sie einen Monat lang auf Plastik in ihrem Haushalt verzichten. Aus dem Versuch wurde ein langfristiges Projekt: Bis heute lebt die Familie Krautwaschl ohne Wegwerfplastik.

Totalverzicht ist unrealistisch

Dass es beinahe unmöglich ist, komplett auf Kunststoff zu verzichten, wurde der Familie bald klar: „Wir haben rasch begriffen, dass viele Alltagsprodukte Plastik enthalten, zum Beispiel Fahrräder und Fahrradhelme, aber auch Handys oder Computer.“ Die Krautwaschls konzentrierten sich daher auf die Vermeidung des Wegwerfplastiks im täglichen Gebrauch wie Lebensmittelverpackungen oder Gebrauchsgegenstände in Bad und Küche. Ein Blick ins Bad zeigt, dass die üblichen Fläschchen und Dosen für Shampoo, Seife und andere Hygieneprodukte fehlen. „Zum Zähneputzen verwenden wir Birkenzucker oder Zahnputzkreide, statt Shampoo in Plastikflaschen kommen Seifenstücke zum Einsatz.“ In der Küche stechen die vielen alten Rex-Gläser ins Auge, die Krautwaschl von ihrer Großmutter bekommen hat. Der Verzicht auf Plastik bringt einige Herausforderungen mit sich: „Gute Planung beim Einkaufen ist unerlässlich, weil es viele Produkte nicht beim Supermarkt um die Ecke gibt. Und wir müssen immer daran denken, passende Behälter für unverpackte Produkte dabeizuhaben.“

Der Mann und die drei Kinder waren von Anfang an in Entscheidungen eingebunden – „sonst hätte das nie funktioniert“ –, und die nunmehr zwanzigjährige Tochter Marlene setzt sich heute selbst für Umweltschutz ein. Der bewusste Umgang mit Ressourcen und die Erkenntnis, dass noch viel getan werden muss, führte Sandra Krautwaschl letztendlich als Abgeordnete der steirischen Grünen in die Politik. „Es geht ja nicht alleine um die Reduktion von Plastik, sondern in erster Linie um die Produktion und um eine Änderung unseres ausbeuterischen Wirtschaftssystem hin zu einer Kreislaufwirtschaft.“

Dringend notwendige Änderungen

In den vergangenen Jahren hat ein Bewusstseinswandel in Bezug auf Plastikprodukte stattgefunden, Probleme wie die Verschmutzung der Meere oder Mikroplastik in Kleidung, Kosmetika und sogar Speisefischen ist in den Köpfen der Menschen angekommen. Immer mehr Menschen verzichten auf unnötiges Plastik oder schließen sich der Zero-Waste-Bewegung an. Die Zahl der Geschäfte, die unverpackte Produkte anbieten, wächst. Die EU hat zudem eine Richtlinie verabschiedet, die das Verbot von Einwegprodukten wie Plastikbesteck, Wattestäbchen oder Strohhalmen vorsieht; in Österreich kommt ein Plastiksackerlverbot ab 2020. EU-weit sollen Hersteller von Wegwerfplastik finanziell für die Beseitigung und Verwertung von Plastikmüll zur Verantwortung gezogen werden. Doch Umweltorganisationen reichen diese Maßnahmen noch nicht, wichtige Punkte wie ein Pfandystem für Plastikflaschen fehlen etwa in der EU-Richtlinie. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Plastik aus Erdöl hergestellt wird und das wiederum den Klimawandel anheizt“, erinnert Sandra Krautwaschl.

Das Leben ohne Plastik zeigt mir, wie herrlich einfach Hausputz und Frühjahrsputz sein können: Ich verwende im Grunde für fast alle Reiniger ein Basis-Produkt: die Kernseife.

Nadine Schubert

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Mehrwegwindeln und Holzspielzeug

In der Vorarlberger Gemeinde Satteins steht Corinna Amann hinter der Theke ihres Unverpackt-Ladens, wo sie Lebensmittel wie Obst und Gemüse oder Getreideflocken verkauft. Die Kunden bringen ihre eigenen Behälter mit. Amann startete 2015 gemeinsam mit ihrem Mann einen Selbstversuch für ein plastikfreieres Leben, wie auch ihr Blog sich nennt. Aus den geplanten 130 Tagen wurden drei Jahre und ein Lebensstil, der in Fleisch und Blut übergegangen ist. „Wir haben uns viel mit Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und Entschleunigung auseinandergesetzt“, erklärt Amann, „und sind jetzt auch Teil einer Lebensmittelkooperative, die das Ziel hat, gemeinsam biologische, regionale Lebensmittel zu beziehen.“ Für die heute vierjährige Tochter fand Amann Schnuller und Babyflaschen-Sauger aus Naturkautschuk und Holzspielzeug. „Besonders wichtig waren uns Mehrwegwindeln, da herkömmliche Windeln Berge von Müll verursachen.“ Die Vorarlbergerin ist überzeugt, dass jeder Schritt zählt, und hat ein paar einfache Tipps für unsere Leserinnen: „Unterwegs immer eine Trinkflasche und Tasche dabei haben, Plastiktaschen, Plastiktrinkhalme und Give-aways vermeiden.“

Verpackungsmüll und Mikroplastik in unseren Produkten macht den Großteil des Plastikproblems aus.

Corinna Amann

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Gut für die Gesundheit

Für Nadine Schubert, Autorin des Ratgebers „Besser leben ohne Plastik“, war eine Fernsehreportage der Auslöser für ein Umdenken. „Mir wurde bewusst, was wir der Umwelt mit unserem Plastikmüll antun und wie etwa Weichmacher unserer Gesundheit schaden.“ Schubert, die mit ihrer Familie im bayrischen Oberaurach lebt, unterscheidet zwischen Kunststoffen, die lange genutzt werden, und Wegwerfplastik. „Letzteres wird bei uns strikt vermieden, wenn es keinen weiteren Nutzen mehr erfüllt. Alles andere wie Staubsauger, Handy oder auch Lego stellt für mich kein Problem dar, weil wir es lange nutzen und nicht leichtfertig wegwerfen.“

Auch mit dem Thema Mikroplastik, das in Kleidungsstücken und Kosmetika vorkommt, hat sich die Autorin für ihr zweites Buch ausführlich befasst. „Die größte Quelle für Mikroplastik in den Meeren ist neuesten Erkenntnissen zufolge der Reifenabrieb beim Autofahren. Gleich danach kommen Polyesterfasern aus Kleidungsstücken, die übers Waschen in der Umwelt landen.“ Schubert versucht, Kunstfaserkleidung zu vermeiden, oder achtet beim Waschen darauf, dass die Fasern nicht entweichen können – etwa durch einen speziellen Waschbeutel. Die Kinder der Autorin, 14 und fünf Jahre, werden in den plastikfreien Lebensstil mit einbezogen. „Natürlich äußern die Kinder auch mal Wünsche, bei denen sie nicht viel über die Verpackung nachdenken, zum Beispiel bei Süßigkeiten“, meint Schubert. „Aber da kann ich gut argumentieren
und kaufe dann Alternativen. Ansonsten haben sie alles, was andere Kinder auch haben.“ Für die Bayerin hat sich seit ihrem Plastikverzicht der gesamte Lebensstil geändert: „Wer einmal mit der Plastikvermeidung angefangen hat und sieht, wie die eigenen Müllberge schrumpfen, ist motiviert, weiterzumachen. Ein Leben abseits des Konsumwahns macht tatsächlich glücklich.“

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