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Jugendrebellion mit Folgen

Der Berlinale Film „Das schweigende Klassenzimmer“ – eine packendes Drama über Schülerprotest in der DDR.

Als die ostdeutschen Maturaschüler Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) bei einem Kinobesuch in Westberlin die in der DDR verbotene Wochenschau sehen, können es die jungen Männer nicht fassen: der antikommunistische Aufstand der Ungarn gegen die Sowjets wurde blutig niedergeschlagen, hunderte Menschen getötet. Zurück in ihrer Schule in ihrer Heimat, der DDR-Arbeitersiedlung Stalinstadt, beschließen die beiden Freunde gemeinsam mit ihren Klassenkollegen, dass sie etwas unternehmen möchten: Ende Oktober des Jahres 1956 sagen sie alle im Geschichtsunterricht kein Wort, fünf Minuten lang – ein Zeichen des stillen Protests gegen die Tötung mehr als hundert  Freiheitskämpfer rund um den ungarischen Fußballstar Ferenc Puskás.

Aufbegehren gegen das System

Doch die jungen Menschen aus der 12. Klasse haben nicht damit gerechnet, dass ihre Idee solch weitreichende Folgen haben könnte – und sie geraten in die politischen Mühlen der damals erst sieben Jahre jungen SED-Diktatur. Obwohl der den Jugendlichen freundlich gesonnene Schulrektor (Florian Lukas) versucht, seine Schüler zu decken und den Protest als dummen Schülerstreich abtut, sieht der Volksbildungsminister (von Burghart Klaußner erschreckend gut diabolisch verkörpert) in den Schweigeminuten einen konterrevolutionären Akt – und will den Schuldigen ausfindig machen, um ein Exempel zu statuieren. Er startet ein Katz-und-Maus-Spiel mit subversiven Verhörtechniken und psychologischen Tricks. Doch die Schüler halten zusammen. Als ihnen angedroht wird, dass man sie von der Schule wirft und sie niemals eine Matura in der DDR ablegen dürfen, wenn sie nicht endlich den Anstifter verraten, stehen Theo, Kurt und ihre Freunde vor einer Entscheidung, die ihr Leben für immer verändern wird …

Im Schulsystem der DDR haben eigenes Denken und Andersartigkeit keinen Platz.

Eine wahre Begebenheit

Bei seiner Premiere Dienstagabend im Friedrichstadt-Palast, bei der auch Berlins regierender SPD-Bürgermeister  Michael Müller mit seiner Tochter zu Gast war, wurde „Das schweigende Klassenzimmer“ (Filmstart: 2. März, ab 12 Jahren), Galafilm der Berlinale „Special“-Reihe, mit minutenlangem Applaus und begeisterten Bravorufen bedacht. Denn der Film von Regisseur Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) ist nicht nur ein spannend gedrehtes Drama rund um jugendlichen Mut und die vernichtende DDR Maschinerie in der ein freier Geist ebenso wenig gefragt war wie Anderssein, er beruht auch auf einer wahren Geschichte. Dietrich Garstka ist jener Mann nach dessen Erinnerungen in gleichnamigen Buch „Das schweigende Klassenzimmer“ der Film gedreht wurde.

Als ihm und seinen 18 Kollegen der Schulverweis angedroht wurde, gingen die damals 17- bzw. 18-Jährigen einen schwerwiegenden Schritt: sie ließen zur Weihnachtszeit, zu der die Grenzkontrollen weniger streng waren, ihre Familien zurück und flüchteten nach West-Berlin, wurden danach nach Westdeutschland ausgeflogen, um in Hessen ihre Matura ablegen zu können. Nur drei Schülerinnen blieben in der DDR zurück, sie wollten ihre Familien nicht verlassen. „Ich habe diese Geschichte“, so der sichtlich gerührte Dietrich Garstka nach der Premiere des Film, „drei Mal erlebt. Zum ersten Mal 1956, als ich 17 Jahre jung war. Dann ein zweites Mal, als ich meine Erinnerungen an jene Zeit im Buch niedergeschrieben habe, da war ich etwa 60 Jahre alt. Und zum dritten Mal, am intensivsten, als der Film entstanden ist. Ich bin sehr glücklich gewesen als ich das Team um Regisseur Kraume getroffen habe.“

Regisseur Lars Kraume sagte bei der Pressekonferenz seines Films: „Mir war wichtig, dass der Film nah an der Realität dessen ist, was tatsächlich passiert, aber keine reine Geschichtsstunde ist. Er sollte dennoch dicht und heutig werden.“ Und in dem sind die jungen Darsteller, allesamt Nachwuchsschauspieler der deutschen Theaters und Kinos, die Stars. Nicht nur die 50er Jahre, auch die DDR sind für die Anfang Zwanzigjährigen eine unbekannte, allzu ferne Zeitspanne. „Wir haben uns deshalb“, so Theo Darsteller Leoard Scheicher, „alte Filme aus den 50er-Jahren angesehen, aus dem Westen wir aus dem Osten und natürlich das Buch gelesen. Das hat uns großes Futter für die Vorstellungskraft geliefert. Mich hat unfassbar beeindruckt, dass diese Schüler mit 17,18 Jahren ihre Familien mit nichts in der Tasche und dem Gedanken ,Wir werden euch nie wieder sehen‘ verlassen haben.“ Seine Kollegin Lenka Klenke ist bekannt aus der deutschen Erfolgs-Komödienreihe „Fack ju Göthe“, in „Das schweigende Klassenzimmer“ übernimmt sie mit einer der Schülerinnen eine weitaus ernstere Rolle: „Wir haben Tanzunterricht zur Musik der 50er-Jahre bekommen. Das und die Kostüme haben uns dabei geholfen, schneller in die Rollen und in die Zeit zu finden.“

„Das schweigende Klassenzimmer“ überzeugt mit einer intensiv gespielten Ensemble-Leistung seiner jungen Darsteller sowie einer packenden Geschichte, die leider gegen Ende mitunter zu sehr ins Kitschige abdriftet. Dennoch ist der Filme für Kinder ab 12 Jahren ebenso sehenswert wie für Erwachsene – zeigt er doch auf packende Weise ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte und gibt einen Einblick in jene Methoden mit denen in der DDR systematisch Andersdenke unterdrückt und teils auch vernichtet wurden. Und er vermittelt, dass politisches Engagement und Zusammenhalt zu jeder Zeit ein ungemein wichtiges Gut für die menschliche Freiheit sind.

Erik (Jonas Dassler) wird wie seine 18 Klassenkameraden von der SED verhört.

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