Ernährung

Frühkindliche Ernährung prägt für das ganze Leben

Die Ernährung in den ersten Lebensjahren bestimmt die Gesundheit ein Leben lang: Ergebnisse des internationalen Forschungsprojekts „Early Nutrition“.

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„Die Ernährung in der frühen Kindheit beeinflusst den Stoffwechsel und die Gesundheit ein Leben lang“, sagt LMU-Professor Berthold Koletzko. Im ProjektEarlyNutrition“, das von Koletzko koordiniert wird, haben Wissenschaftler weltweit mehrere Jahre lang über die Folgen frühkindlicher Ernährung für die lebenslange Gesundheit geforscht. Beteiligt sind 35 Institute in zwölf Ländern. Die Ergebnisse enthalten viele Empfehlungen für Schwangere und Ärzte.

Metabolische Programmierung im frühen Lebensalter ist wichtig

„Die metabolische Programmierung im frühen Lebensalter ist für die Gesundheit der Bevölkerung extrem wichtig“, sagt Berthold Koletzko. „Wir werden in der ganzen Welt von einer Welle von Übergewicht und Adipositas überrollt, die die Lebenserwartung der Betroffenen und das Gesundheitssystem belastet. In Europa machen Diabetes-Therapien inzwischen acht Prozent aller Gesundheitskosten aus, mit stark wachsender Tendenz.“

Präventive Ernährungsstrategien im Säuglingsalter

Die Forscher im Early-Nutition-Projekt haben verschiedene präventive Strategien entwickelt, unter anderem was den Eiweißgehalt von Säuglingsnahrung betrifft, der bislang meist zu hoch ist. Zudem geben sie insbesondere Schwangeren Empfehlungen: „Während der Schwangerschaft steigt der Bedarf an kritischen Nährstoffen viel stärker an als der Energiebedarf. Werdende Mütter müssen nicht für zwei essen, sollten aber für zwei denken“, sagt Koletzko. „Eine ausgewogene Ernährung ist bereits vor der Schwangerschaft sinnvoll, insbesondere reichlich Gemüse, Fisch und ein Supplement mit Folsäure. Frauen die keinen Fisch essen, sollten ergänzend die Omega-3-Fettsäure DHA einnehmen.“

Frühkindliche Ernährung: Das Erbe des Anfangs

Ein Interview mit Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährungsmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital des LMU Klinikums und Koordinator des EU-weiten Projekts „Early Nutrition“.

Sie haben im Projekt „EarlyNutrition“ erforscht, welchen Einfluss die frühkindliche Ernährung auf die spätere Gesundheit hat. Was sind Ihre wichtigsten Ergebnisse?
Berthold Koletzko:
Die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft, aber auch schon davor, und die Ernährung während der frühen Kindheit beeinflussen Stoffwechsel und Gesundheit lebenslang. Wenn die Mutter bei Beginn der Schwangerschaft übergewichtig ist, verdoppelt sich das Risiko des Kindes im Erwachsenenalter adipös zu werden. Nach der Geburt vermindert Stillen im Vergleich zu konventioneller Flaschenernährung das langfristige Risiko für Übergewicht um zehn bis zwanzig Prozent. Bei Flaschenernährung und Beikost spielt insbesondere der Eiweißgehalt der Nahrung eine große Rolle: Eine eiweißärmere Säuglingsnahrung ist von großem Vorteil für die spätere Gesundheit.

Warum hat die frühkindliche Ernährung einen so großen Einfluss auf die lebenslange Gesundheit? Welche Mechanismen laufen da ab?
Koletzko:
Zum einen spielt die Regulation von Körperfunktionen durch Hormone eine Rolle. Unsere Studien zeigen zum Beispiel, dass eine eiweißreiche Ernährung bei Säuglingen Wachstumsfaktoren wie Insulin hochreguliert. Auch während der Schwangerschaft ist Insulin ein wichtiger Faktor: Starkes Übergewicht der Mutter führt beim ungeborenen Kind zu erhöhten Blutzucker- und Insulinwerten, wodurch das Wachstum und vor allem die Fettgewebsbildung intrauterin gefördert werden – beides sind Risikofaktoren für spätere Adipositas. Außerdem steigen die sogenannten verzweigtkettigen Aminosäuren bei eiweißreicher Ernährung sehr stark an. Wir haben Hinweise darauf, dass auch diese über einen bestimmten Regulationsweg zu vermehrter Gewichtszunahme führen. Zudem haben wir Hinweise darauf gefunden, dass bestimmte Faktoren in der frühen Kindheit über epigenetische Mechanismen die Genexpression dauerhaft verändern. Dazu gehört etwa das Rauchen, vor allem im ersten Drittel der Schwangerschaft. Die Folgen lassen sich beim Kind bis ins Schulalter nachweisen: Das Risiko für späteres Übergewicht verdoppelt sich dadurch. Andere epigenetische Veränderungen gehen mit einem höheren Körperfettgehalt einher.

Welche Zeitfenster sind besonders entscheidend für die lebenslange Gesundheit?
Koletzko:
Bisher haben wir vor allem die ersten 1000 Tage betrachtet, also Schwangerschaft und die ersten beiden Lebensjahre, in denen sich das Kind schnell entwickelt und die Wachstumsgeschwindigkeit hoch ist. In dieser Phase ist die entwicklungsbiologische Plastizität hoch, die Struktur des Organismus und seine physiologischen Funktionen werden gebildet. Ich denke aber, wir müssen diese 1000 Tage auf die Zeit vor der Schwangerschaft erweitern, weil wir mehr und mehr sehen, dass Stoffwechselfaktoren und damit die Ernährung vor der Schwangerschaft eine große Rolle spielen.

Was raten Sie werdenden Müttern?
Koletzko:
Frauen sollten schon vor einer Schwangerschaft versuchen, ihr Gewicht dem Normalgewicht anzunähern. Auch eine ausgewogene Ernährung ist bereits vor der Schwangerschaft sinnvoll, insbesondere reichlich Gemüse, Fisch und ein Supplement mit Folsäure. Frauen die keinen Fisch essen, sollten ergänzend die Omega-3-Fettsäure DHA einnehmen. Der Bedarf an kritischen Nährstoffen steigt in der Schwangerschaft viel stärker an als der Energiebedarf. Am Ende einer Schwangerschaft braucht die Schwangere im Schnitt nur zehn Prozent mehr Energie als vor der Schwangerschaft. Man muss also nicht für zwei essen, sollte aber für zwei denken.

Kann man der frühen Stoffwechselprogrammierung später noch entgegensteuern?
Koletzko:
Ja, das kann man. Wenn man etwa das Adipositas-Risiko betrachtet, dann wird in der frühen Kindheit sozusagen die Spur in die eine oder andere Richtung gelegt. Aber natürlich kann ein Mensch zu jeder Zeit im Leben sein Gewicht verändern. Wir wissen jedoch alle, dass das nicht ganz leicht fällt und im Alltag oft schwierig durchzuhalten ist. Deshalb glaube ich, dass die metabolische Programmierung im frühen Lebensalter für die Gesundheit der Bevölkerung extrem wichtig ist. Wir werden ja nicht nur in Europa sondern in der ganzen Welt von einer Welle von Übergewicht und Adipositas überrollt, die die Lebenserwartung der Betroffenen und das Gesundheitssystem belastet. In Europa machen Diabetes-Therapien inzwischen acht Prozent aller Gesundheitskosten aus, mit stark wachsender Tendenz.

Welche neuen Forschungsansätze ergeben sich aus dem Projekt?
Koletzko:
Mithilfe unserer Erkenntnisse wollen wir die Säuglingsnahrung weiter verbessern. Wir haben im Projekt bereits eine neu entwickelte Säuglingsnahrung getestet, die weniger Eiweiß enthält als konventionelle Babynahrung. Bei Kindern, die diese Nahrung erhielten, war die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas im Schulalter im Vergleich zu konventionell ernährten Kindern um zwei Drittel vermindert. Wir sind sehr froh, dass viele Hersteller von Säuglingsnahrung diese Erkenntnisse schon aufnehmen und ihre Produkte verändern. Wir wollen in einem nächsten Schritt nun auch die Eiweißqualität optimieren. Außerdem wollen wir zukünftig auch die Zeitspanne jenseits der ersten Lebensmonate betrachten, also Kinder im Beikost- und Kleinkindalter. Auch für dieses Alter haben wir Konzepte für präventive Strategien entwickelt, die wir überprüfen wollen. Ganz generell ist es unser Ziel, die grundlegenden Mechanismen der metabolischen und epigenetischen Regulationsprozesse beim Menschen weiter aufzuklären.

Prof. Dr. Berthold Koletzko
Professor Berthold Koletzko leitet die Abteilung Stoffwechsel und Ernährungsmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital des LMU-Klinikums. 2012 zeichnete ihn der Europäische Forschungsrat mit einem Advanced Grant aus. Berthold Koletzko koordiniert das von der EU finanzierte Forschungsprojekt „Early Nutrition".

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