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Die gute Stiefmutter

Stiefmütter haben ein Imageproblem, dabei sind sie die Avantgarde der postfamilialen Gesellschaft. Höchste Zeit für eine Neudefinition.

Stiefmutter

„Bist Du jetzt eigentlich meine Stiefmutter?“ Den bangen Blick meines Stiefsohnes, damals ein entzückenderNeunjähriger, werde ich nie vergessen. Ich könnte regelrecht dabei zusehen, wie die Figuren aus Grimms Märchen in seinemKopf herumspukten, während er dasschlimme Wort aussprach: Stiefmutter.

Natürlich war ich es – und gleichzeitig auch nicht. Ich, das ist eine von Hunderttausend Frauen, die sich nach dem Scheitern ihrer ersten Familie in einen Mann mit Kindern und Exen verliebt hatte. Wir gründeten eine Patchworkfamilie, und ich wurde zur Stiefmama mit zwei eigenen und zwei dazugekommenen Kindern.

Oder Bonusmama.

Oder Wochenendmama.

Oder einfach Barbara.

Es gibt viele Varianten, die neue Frau an der Seite eines Vaters zu bezeichnen. Manche klingen, wie Bonusmama, gar pädagogisch, andere wie das altmodische „Stiefmutter“ will eigentlich niemand mehr sein. Während die Französinnen in dieser Rolle sich als „Belle-mère“ rufen lassen, müssen wir Deutschsprachigen uns an veralteten und noch nicht eingebürgerten Bezeichnungen abarbeiten.

Das Rollenbild der Stiefmutter

So unausgegoren wie ihr Titel ist auch das Rollenbild der Stiefmutter bei uns. Was darf ich den Stiefkindern anschaffen, was nicht? Wie verhalte ich mich am  esten gegenüber der Ex meines neuen Mannes? Habe ich ein Problem, wenn ich meine Stiefkinder nicht so sehr liebe wie meine eigenen? Wie organisiere ich am besten Familienfeiern, Urlaube und, am allerschlimmsten, Weihnachten?

Während Amerikanerinnen auf ein ganzes Genre an Stiefmütterratgebern zurückgreifen können und sich ein eigenes Magazin namens „Step-Mom“ um Fragen wie solche kümmert, bleibt es deutschen Stiefmüttern selbst überlassen, ihren Weg durch die verminte Beziehungsmatrix einer Patchworkfamilie zu schlagen.

Meistens greifen sie dabei auf das Naheliegende zurück: die eigene Familienerfahrung als Tochter und das herrschende Mutter- und Familienbild. Auch ich tat das. Ohne dass es mir zu diesem Zeitpunkt bewusst war, machte ich den Kardinalfeh ler aller werdenden Stiefmütter. Ich glaubte, dass die neue Familie so funktionieren würde wie die alte, biologische Familie.

Patchworkfamilien und ihre Stolpersteine

Aber so war es natürlich nicht. Eifersucht zwischen den Kindern, den Erwachsenen, Konflikte mit den leiblichen Eltern der Kinder und immer wieder die Frage „Wo ist denn noch Platz für mich?“ brachten uns – und mich – gehörig unter Druck. Auf der Suche nach Hilfe und Antworten musste ich feststellen, dass es zu Stiefmüttern zwar sehr viele Klischees und Vorurteile gibt, aber kaum gesellschaftlich anerkannte „Scripts“, kein Rollenselbstverständnis, geschweige denn eine Lobby.

Neue Form: Die Stiefkindfamilie

Das ist umso erstaunlicher, als die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben Stiefmutter zu werden, angesichts Scheidungsraten von über vierzig Prozent so groß ist wir noch nie. Die klassische Stiefmutter, die an die Stelle der verstorbenen Mutter tritt, ist selten geworden. An ihre Stelle tritt die Vollzeit-, Teilzeit-, Wochenend-, Lebensabschnitts- oder Stiefmutter fürs Leben.

Im Zeitalter der „postfamilialen Familien“ ziehen immer mehr Frauen fremde Kinder groß. Die Statistik Österreich erhebt seit 2007 im Mikrozensus die Lebensform „Stiefkindfamilie“. Von den knapp 1,1 Millionen Familien in Österreich waren im Jahr 2017 80.400 Patchworkfamilien, also gut jede zwölfte. Bei Paaren mit Kindern unter 15 Jahren ist es fast schon jede zehnte Familie. 104.000 Kinder in Österreich wachsen in Patchworkfamilien auf. Der überwiegende Teil der Kinder bleibt in der Mamafamilie (fast 90 Prozent), nur zehn Prozent ziehen in die Papafamilie. An zweiter Stelle steht mit 43,4 Prozent aber schon die „komplexe Stieffamilie“, bei der ein Partner ein Kind in die Familie mitbringt und ein gemeinsames Kind dazukommt.

Neues Mutterbild

Mutterrollen wandeln sich also, trotzdem hält unsere Gesellschaft an einem Familien- und Mutterbild fest, das im Grunde immer noch auf Martin Luther zurückgeht und später vom französischen Denker Jean-Jacques Rousseau und dem Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi noch zusätzlich aufgeladen wurde. Die deutsche Soziologin Barbara Vinken hat es in ihrem Buch „Die deutsche Mutter“ gründlich analysiert: Aufopfernd, gebend, zurücksteckend, selbstlos soll die „gute Mutter“ sein. Der Ruhepol der Familie, die, die alles zusammenhält, die, die das Zuhause zu einem Hort der Geborgenheit und des Schutzes vor der Außenwelt macht. Im Idealfall ergänzt sich ihr natürlicher Mutterinstinkt mit einer guten Ausbildung, die dafür sorgt, dass Kinder nicht nur Herzensbildung, sondern auch bürgerliche Tugenden von klein auf lernen. Spätestens nach der Geburt des zweitens Kindes, das erleben viele auch gut ausgebildete Frauen mit Karriere, tauchen diese archetypischen Ansprüche an sie als Mutter auf.

Und dann gibt es noch dieses Bild der arbeitenden Mutter als „Familienmanagerin“. Die, die alles checkt. Die alle Termine des Familienkalenders im Kopf hat, Einkäufe und Handwerker organisiert, dafür sorgt, dass der Haushalt beruhigend vor sich herbrummt, und nebenbei auch das Gesellschaftsleben organisiert, zwischendurch den nächsten Urlaubsflug bucht und selbstverständlich einspringt, wenn ihrem Stiefkind etwas passiert, es krank wird und der Vater unabkömmlich ist.

Jammer bloß nicht!

Von Stiefmüttern wird all das erwartet, und noch mehr. Stiefmütter sollen vor allem funktionieren, ihre Probleme sind erst einmal zweitrangig. Sie ist ja die, die sich auf das Abenteuer Patchworkfamilie bewusst eingelassen hat, schwingt da oft als leiser Vorwurf mit. Du hättest ja eine eigene Familie gründen oder bei deinem früheren Mann, deiner alten Familie bleiben können. Du wolltest doch diese neue Beziehung, mit dem Neuen, der Kinder hat, jetzt zeige, dass du es im Griff hast! Und jammer bloß nicht!

Die Stiefmutter meistert dabei viel mehr Herausforderungen als Mütter in klassischen Familien. Sie wird oft ohne Aufwärmphase in ihre neuen Rollen geworfen. Sie ist die Partnerin ihres neuen Mannes, also gleichzeitig in einer noch frischen, lebendigen Liebespaarbeziehung und mit einem Mal auch in einer Familienbeziehung. Sie soll zu den Kindern ihres Partners eine tragfähige Beziehung aufbauen und sich mit dessen Ex arrangieren. Hat die Stiefmutter eigene Kinder, wird sie dafür sorgen, dass auch deren Verhältnis zum Stiefvater und den Stiefgeschwistern klappt und auch ihr Ex, der Vater ihrer eigenen Kinder, seinen Platz in dieser komplexen Familienaufstellung findet.

Daneben ist die Stiefmutter natürlich auch meistens berufstätig, denn sich selbst erhalten zu können, ist für sie selbstverständlich. Sie ist ein Geschöpf der Post- Versorgungs-Ehen-Ära. Die Vorstellung, einen Mann fürs Leben zu finden, der als Alleinverdiener die Familie versorgt, ist ihr fremd. Sei es aus grundsätzlichem, feministischem Prinzip oder eigener Erfahrung. Kaum jemand macht den Fehler ein zweites Mal, sich ganz auf seine Liebe zu verlassen, dafür alles, auch den Job, aufzugeben und bei einer Trennung dann auch noch beruflich ganz von vorne anfangen zu müssen.

Damit hat die Stiefmutter von heute die Prinzipien der neoliberalen Wirtschaftsordnung internalisiert. Sie ist eigenständig, übernimmt Selbstverantwortung und sorgt sich um ihren Marktwert. Einerseits. Andererseits ist sie sehr solidarisch, ist sie doch bereit, Verantwortung für ihre neue Familie zu übernehmen und für sie zu sorgen und sich zu kümmern.

Was eine Bürde ist, ist auch immer eine Chance

Weil Stiefmütter bewusst Elternaufgaben übernehmen, reflektieren sie mehr darüber. Sie sind weniger gefährdet, sich ganz der Mutterrolle hinzugeben. Schließlich wollen sie ihr altes Leben nicht verlieren, als berufstätige Frau, als Partnerin und Geliebte, als Freundin. Im Idealfall erhalten sie sich eine gesunde Distanz zu den vielen Ansprüchen, die an sie in ihrer Stiefmutterrolle gestellt werden. Davon können alle anderen Familienmitglieder lernen. Der natürliche Abstand, den eine Stiefmutter in eine Familie mit einbringt, bedeutet immer auch ein Stückchen Freiheit, Rollen zu hinterfragen und neu zu definieren. Abseits klassischer Familienund Mütterbilder.

Das macht Stiefmütter zur gesellschaftlichen Avantgarde, nur leider wissen es noch die wenigsten von ihnen.

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